Buchkritik -- Heinrich Steinfest -- Der Allesforscher

Umschlagfoto, Heinrich Steinfest, Der Allesforscher, InKulturA Es gibt Bücher, die hinterlassen beim Leser ein Gefühl tiefer Zufriedenheit und eine Ahnung davon, wie gelungenes Leben aussehen könnte und die Gewissheit, dass es abseits allen medialen Getöses und der ach so modern gewordenen Suche nach dem Extravaganten, Ausgefallenen und die Sinne immer übertreffen wollende Steigerung des Hässlichen und Abnormen Romane gibt, die mit leisen Tönen von der Entwicklung eines Individuums erzählen, die so ganz diesseitig, so unerhört bodenständig und so gefühlvoll und dabei so vollkommen unprätentiös daherkommen.

"Der Allesforscher" von Heinrich Steinfest ist solch ein literarischer Glücksfall. Sein Protagonist Sixten Braun muss erst zwei haarsträubende Unfälle, eine große Liebe und die ungeplante Übernahme väterlicher Pflichten erleben, bis ihm klar wird, welchen Wert das so viel gescholtene "kleine Glück" für ihn bereithält.

Als aktiver Teilnehmer im Hamsterrad eines erfolgreichen Managers erhält Sixten die Möglichkeit zur Umkehr. Erst setzt ihn ein irrer Unfall mit einem explodierenden Wal außer Gefecht, dann, zu allem Überfluss, überlebt er auch noch einen Flugzeugabsturz, sattelt beruflich um und wird Bademeister auf dem zweiten Bildungsweg.

Nach seiner unfreiwilligen Begegnung mit dem toten Wal lernt er in einem taiwanesischen Krankenhaus eine deutsche Ärztin kennen und verliebt sich in sie. Es kommt wie es kommen musste und die große Liebe endet tragisch. Jahre später erhält er einen Anruf, in dem ihm mitgeteilt wird, er habe einen Sohn mit der inzwischen verstorbenen Ärztin. Fast widerwillig übernimmt er die Vaterschaft und ist schockiert, dass sein angeblicher Sohn asiatische Gesichtszüge aufweist, er also als Vater nicht in Frage kommt. Doch zu spät, die Formalitäten sind bindend erledigt und Simon, so der der Name des Jungen, trifft in Deutschland ein.

Und genau an dieser Stelle beginnt für Sixten das Abenteuer Leben. Sein "Sohn" spricht, so wie sich schnell herausstellt, keine zur Kommunikation taugliche Sprache, sondern lebt in einer Welt selbst konstruierten Grammatik und Sixten und anderen Sprach- und Erziehungsexperten gelingt es nicht, dessen Ausdrucksweise zu verstehen.

Was zuerst wie eine unüberwindliche Schranke zwischen Simon und seinem Vater aussieht, erweist sich im Nachhinein als Glücksfall für die Beziehung der Beiden. Sprache, die notwendigerweise immer wage bleiben muss, wird ersetzt durch ein Gefühl enger Verbundenheit zwischen Vater und Sohn, die das gesprochene Wort zugunsten Mimik, Gestik und großer Liebe ersetzt.

Heinrich Steinfest erzählt mit viel Witz, Ironie und Selbstverarsche vom großen Wert der kleinen Welt, die sich weit abseits des selbstverliebten Getöses von global agierenden Machern abspielt. Dabei vermeidet er absolut gekonnt jedes Klischee von bürgerlicher Gemütlichkeit - ein schreckliches Wort - und verarbeitet die Beziehung zwischen Simon und seinen Vater zu einem gefühlvollen Entwicklungsroman, der, jedenfalls für diejenigen, die Augen und Ohren für die wesentlichen Dinge des Lebens haben, einen literarischer Leckerbissen darstellt und der beim Leser mehr als einmal dafür sorgt, dass ein wohliger Schauer das Rückgrat hinunterrinnt.

Es sind Sätze wie "Stimmt, da gibt es noch die Angst vor dem Tod. Aber wer seine Liebe oder sein Kind verloren hat, wie könnte der noch Angst vor dem Tod haben?" oder "Ich wußte, daß sie die letzte Frau sein würde. Egal, wie lange mein Leben noch dauerte" oder "Aus der Ferne seines Gesichtes fiel dieses Lächeln wie ein Segen auf mich herunter." die den Leser nach der Lektüre schlicht und ergreifend mit einem Gefühl tiefen Glücks zurücklassen.

"Der Allesforscher" von Heinrich Steinfest ist ein literarisches Meisterwerk der leisen Dinge - und die, das wusste bereits Friedrich Nietzsche, können mit Taubenfüßen die Welt verändern.




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Veröffentlicht am 18. April 2014