Buchkritik -- Hans Platzgumer -- Bogners Abgang

Umschlagfoto, Buchkritik, Hans Platzgumer, Bogners Abgang, InKulturA Ein Verkehrsunfall, ein schwerverletztes Opfer und vier Menschen, die mehr oder weniger daran beteiligt sind und die auf unterschiedliche Weise mit dem Ereignis umgehen.

Fast jeder dürfte es schon einmal erlebt haben, den Moment, der einen Menschen dazu bringt, abzuwägen zwischen Verantwortung und Flucht, zwischen Tat und Verdrängung. Was vielleicht beim verschämten Wegdrücken einer telefonisch falsch angewählten Nummer nur ein peinliches Gefühl und bestenfalls eine mehr gemurmelte als ernst gemeinte Entschuldigung hinterlässt, ist bei einem Verkehrsunfall mit Personenschaden neben der juristischen Aufarbeitung eine Frage der Fähigkeit zur individuellen Schuldübernahme.

Fern von christlich-religiöser Konnotation, die jedem Menschen von Geburt Schuld zuspricht, ist Schuld nicht nur eine juristische Frage, sondern viel mehr eine psychologische, deren Bandbreite, abhängig von der geistigen Konstitution des Einzelnen, von Erschütterung bis Gleichgültigkeit reicht.

Da ist der verkannte Künstler Andreas Bogner, der zur Projektionsfläche des frustriert-aggressiven Kunstkritikers Kurt Niederer wird. Da ist die Studentin Nicola Pammer, die den Kritiker, der eines Abends leicht alkoholisiert aus einer Gaststätte kommt, überfährt und da ist die Mutter der Studentin, die dafür sorgt, dass das Unfallauto in Form eines Verkaufs verschwindet.

Keine Frage, Bogner, der sich als gescheiterter Künstler – nicht zuletzt wegen Niederes verbaler Attacken – betrachtet, ist wütend auf den Mann und, fast als Kurzschlusshandlung, plant ihn mit einem der Objekte seines neuen Projekts – „Die Entwicklung der Waffen vom Faustkeil zur Atombombe“ –, eine Pistole, zu erschießen. Geht wie vieles bei Bogner schief und anstelle eines finalen Schusses jagt er seinem Intimfeind nur einen Schreck ein, der ihn jedoch direkt vor das Auto der jungen Studentin, die ebenfalls leicht alkoholisiert ist, treibt.

Wer hat jetzt, abgesehen von der Fahrerflucht der Unfallverursacherin Schuld? Bogner, der bereit war zu töten? Die Studentin, die trotz zu vieler Gläser die Fahrt angetreten hat? Niederer, der ebenfalls nicht mehr ganz sicher auf den Beinen schien? Nicolas Mutter, für die der Unfall bestenfalls ärgerlich war, weil Autos „sowieso blöd sind“?

Hans Platzgumer lässt seine zwei Hauptfiguren Bogner und Pammer in einem Strudel aus Verdrängung, Vergessen und Verantwortung versinken, der bei einer von ihnen zu einer dramatischen Entscheidung und bei der anderen zum Schuldbekenntnis führt.

Sich schuldig fühlen, egal ob eingebildete oder reale Schuld, frisst sich in die Psyche eines Menschen und lässt ihn nicht wieder los. „Bogners Abgang“, ein kurzer, aber intensiver Roman über Individuen im Ausnahmezustand.




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Veröffentlicht am 2. Juni 2021