Buchkritik -- Christph Ransmayr -- Cox oder der Lauf der Zeit

Umschlagfoto, Buchkritik, Christph Ransmayr, Cox oder der Lauf der Zeit, InKulturA Die Zeit, sie umgibt uns, treibt uns voran, lässt uns jedoch immer die Vergänglichkeit spüren. So auch Alister Cox, ein Virtuose der Feinmechanik und ein berühmter Uhrmacher aus London, der aufgrund seiner Fähigkeiten und denen seiner Mitarbeiter jeden Preis für seine Handwerkskunst verlangen kann. Als seine kleine Tochter Abigail stirbt und ihre Mutter sich in eine die Ehe belastende Sprachlosigkeit zurückzieht, erhält Cox die Einladung des chinesischen Kaisers Qianlong. Dort angekommen erhalten er und die drei ihn begleitenden Angestellte, den Auftrag, eine Uhr zu bauen, wie es sie noch nie gegeben hat.

Zeit besitzt Qianlong im Überfluss, denn dem Kaiser gebührt es, darüber zu befinden, wann die Jahreszeiten wechseln. So kann es schon einmal geschehen, dass aus einen Sommer, in den Herbst und Winter übergehend, trotzdem ein Sommer wird, wenn es dem Kaiser so beliebt.

Cox und seine Mitreisenden kommen in einer für sie fremden Welt an. Der Einzelne ist nur in Bezug auf seine Nützlichkeit für den Kaiser wichtig. Ein Menschenleben ist bedeutungslos und Individualität unbekannt, ja sogar unerwünscht.

Christoph Ransmayr erzählt eine märchenhafte Geschichte, die dem Leser ein Land schildert, das widersprüchlicher nicht sein könnte. Großartige Landschaften kontrastieren mit brutalen und – für Cox und seine Gesellen – unvorstellbaren Gesetzen und Bräuchen. Ein falscher Blick, eine fatale Geste und der Mangel an Respektbezeugungen gegenüber der Obrigkeit entscheidet über leben und Tod. Das soziale Leben ist rigide festgelegt und jeglicher Verstoß gegen die öffentliche Ordnung, die Ordnung des Kaisers, wird mit schweren Strafen belegt. So werden die Engländer gleich zu Beginn ihres Aufenthaltes mit einem massenhaften Nasenabschneiden konfrontiert, dass sie zwar maßlos erschreckt, jedoch noch von Börsenhändlern, denen die Zungen herausgerissen werden und Ärzten, die die Entscheidung des Kaisers, sich von Tibetern behandeln zu lassen, kritisieren und zur Strafe grausam gefoltert werden.

Doch der scheinbar allmächtige Kaiser hat einen Feind, den er nicht besiegen kann: die Zeit. Aus diesem Grund soll ihm, der bereits über unzählige Uhren verfügt, Cox drei Uhren bauen. Die erste, "die den Lauf der Zeit eines Kindes anzeigt" und die zweite, die "einen Zeitmesser für zu Tode Verurteilte und alle, die das Datum ihres Todes kannten ..." darstellen soll, sind jedoch nur das handwerkliche Vorspiel zum dritten und für den Kaiser wichtigsten Zeitmesser: eine endlose Uhr, die den Verlauf der Zeit selber darstellen soll und deren Funktion bis in die Ewigkeit garantiert ist.

Eingewoben in diese opulente, jedoch niemals in Manierismus abgleitende Geschichte ist die Frage nach der Möglichkeit von Kommunikation, wenn doch ein falsches Wort den Tod oder zumindest eine schwere Strafe nach sich ziehen kann. So kommt dann auch dem Übersetzer Kiang die Funktion zu, immer lavierend zwischen Inhalt und Betonung, die Befindlichkeiten von zwei Kulturen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, zu nivellieren.

Cox und Qianlong sind, bei allen Unterschieden, verwandt im Geist. Sie wollen sich nicht mit dem Unerhörten, dem Skandal der menschlichen Vergänglichkeit gegenüber einer – entgegen den Erkenntnissen der modernen Kosmologie – ewigen Zeit zufriedengeben. Cox gelingt das unmöglich Geglaubte. Er konstruiert eine Uhr, die einmal in Gang gesetzt, ewig laufen wird und noch die Zeit anzeigen wird, wenn schon längst kein Mensch mehr da sein wird, der sie wissen möchte.

Christoph Ransmayr hat mit diesem Roman ein Werk veröffentlicht, das mit seiner bildgewaltigen Sprache, seiner aus dem Vollen schöpfenden Diktion und seiner gekonnten, niemals gekünstelten Dramaturgie den Begriff Meisterwerk neu definiert.




Meine Bewertung:Bewertung

Veröffentlicht am 27. November 2016