Buchkritik -- Terézia Mora -- Das Ungeheuer

Umschlagfoto, Terézia Mora, Das Ungeheuer, InKulturA "Wohin kannst du gehen, wenn statt eines Ortes eine Person dein Zuhause geworden ist? Wohin dann ohne diese Person?" Diese Frage stellt sich Darius. Anfang 50, arbeitsloser IT-Spezialist, dessen letzter Job darin bestand, telefonisch die Produkte einer Firma, die, wenn sie dann einen Interessenten hat, oft gar nicht in der Lage ist, die Ware zu liefern, an den Kunden zu bringen. Kurz gesagt, Darius ist ein Call-Center Agent oder, wie Mora es schreibt, "Sales engineer Darius Kopp. Seit 2 Jahren mutterseelenallein in einem 12 qm großen Arbeitskabuff in der ersten Etage eines sogenannten Businesscenters."

Darius ist am Boden zerstört. Seine Freundin Flora hat Selbstmord begangen und sein Leben gleicht seit diesem Zeitpunkt einem immerwährenden Fluss der Lethargie und Antriebslosigkeit.

Es haben, besser es hatten sich zwei Menschen gefunden, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Flora, aus Ungarn stammend, lebte dort in verschiedenen Heimen und ist psychisch krank. Sie leidet an einer bipolaren affektiven Psychose und der Teil des Buches, in dem Darius die Aufzeichnungen seiner ehemaligen Freundin findet, sie also selbst zu Wort kommt, liest sich wie ein Almanach psychiatrischer Störungen.

Es sind eigentlich zwei Bücher, die Terézia Mora da geschrieben hat. Eines ist die bewegende Selbstbetrachtung Floras, die, um ihre Krankheit wissend, akribisch darüber Buch führt und der Leser wird Zeuge ihres fortschreitenden geistigen Verfalls.

Das andere ist die Erzählung von Darius und seinem Versuch, die Urne mit Floras Asche zu beerdigen. Sein Weg ist lang und führt ihn nach Ungarn, Albanien, in die Türkei, nach Griechenland, Armenien und zum Schluss nach Georgien. Immer dabei die Asche seiner ehemaligen Freundin.

Es ist ein spröder Roman, den Terézia Mora da geschrieben hat. "Das Ungeheuer" laviert zwischen Roadmovie und der akribisch geschilderten psychischen Deformation des menschlichen Geistes. Diese strikte Trennung des Romans in Darius und Floras jeweils eigenen Befindlichkeiten korrespondiert mit der gewagten, aber inhaltlich stimmigen Aufteilung in zwei verschiedene Teile - ab Seite 83 des Romans teilt ein horizontaler Strich jede Seite in zwei Hälften, oben die Reise von Darius, unter Floras Notizen und Tagebucheintragungen.

Darius ist ein Einsamer, einer der zwar nach den typischen Konventionen der digitalen Elite lebt - schicke Wohnung, gutes Job, viel Geld - doch im Inneren ist er ein zutiefst haltloser Mann, der glaubt in Flora seinen Rettungsanker gefunden zu haben. Sie sollte es ihm ermöglichen, seinem Leben einen Sinn zu geben. Na, kann man süffisant sagen, haben sich ja die zwei richtigen getroffen.

Darius besitzt einen dermaßen eingeschränkten Blick für die Realität, dass es ihm vollkommen entgeht, das mit Flora so manches nicht stimmen kann. Und da bin ich auch auch bereits bei dem großen Manko des Romans. Ist die Geschichte Floras, genauer gesagt, die Entwicklung ihrer Krankheit für den Leser zwar verstörend zu lesen, hat sie jedoch eine innere Tiefe, die berührt und gleichzeitig abschreckt.

Darius dagegen ist, trotz seiner Vorgeschichte als typischer Vertreter des modernen Zeitgeistes, ein orientierungsloser Loser, der sich verzweifelt an eine Frau klammert. Es ist schwer für den Leser, diesem lethargischen Mann auf den immerhin 688 Seiten des Romans zu folgen. Zu unstet, zu geworfen, abhängig von Außenreizen und, leider, zu konstruiert wirkt seine Geschichte.

Es ist ein Wagnis, auf das sich der Leser einlässt, wenn er "Das Ungeheuer" von Terézia Mora liest. Er wird viel Geduld aufbringen müssen, um diesen Roman zu bewältigen, ist doch die Figur des Darius mit einer dermaßen großen Renitenz gegenüber Veränderungen - dazu gehört auch die Trauerverarbeitung - ausgestattet, dass der Leser angesichts der medialen Hype um dieses Buch - für diesen Roman erhielt Terézia Mora den Deutschen Buchpreis - doch etwas ratlos und enttäuscht zurückbleibt.




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Veröffentlicht am 19. Dezember 2013