Europäisierung, Globalisierung und weltumspannender Kapitalismus, das sind die Stichworte zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Wirtschaftsführer singen sie vor und Politiker beten sie gehorsam nach. Rationalisierung, Umstrukturierung, Synergieeffekte und Shareholder Value, das sind die modernen Schlagworte. Eine neue, selbsternannte Elite, an eben den Schalthebeln des weltweiten Kapatilnetzes sitzend, formt seit einigen Jahren ihre eigenen Gesetze.Rücksichtslos demontieren sie dabei die politischen Strukturen der alten Nationalstaaten, höhlen die bis dato funktionierenden Sozialsysteme durch Massenentlassungen aus.

Typisch für diese "Tech-Nomaden" ist das Fehlen von sozialen Wurzeln. Eine Heimatstadt verkommt zum puren Wohnort, kosmopolitisch besteht kein Unterschied zwischen New York, Singapur, oder Paris. Das Milieu in dem die neuen Eliten leben, gleicht sich in jeder Stadt. Die Mode ist einheitlich, der Lebenstil sowieso und viel Geld kann man überall machen. Alles andere ist egal.

Wenn dieser illustre Zirkel einmal Kinder bekommen sollte, dann werden diese natürlich an den besten Schulen, will sagen, an den besten Internaten ausgebildet. (Böse Zungen behaupten, daß in der jährlichen Schulgebühr an Internaten bereits das Abschlusszeugnis enthalten ist. Wehe dem, der schlechtes dabei denkt!)

Gefangen in der Welt des fiktiven Geldes, nichts anderes sind Aktien, abhängig von in Echtzeit empfangenen Informationen, leben sie in quasi virtuellen Welten, machen sich ihre eigenen Gesetze und haben ihren eigenen Codex. Die Spielregeln sind klar: Geld machen um jeden, natürlich von den Arbeitnehmern zu zahlenden, Preis. Wie schön könnte doch die Welt sein, gäbe es nur nicht so entsetzlich viele Menschen mit Ansprüchen an Regierung und Unternehmer.

Regierung, welch ein Euphemismus für den Haufen inkompetenter Faulenzer, deren einzige Daseinsberechtigung anscheinend darin besteht, auf Druck der Wirtschaft immer mehr soziale Verantwortung des Staates abzuschaffen. Es ist schon schamlos, wie es den "Global Players" immer mehr gelingt, sich in die ureigenen Belange des Staates einzumischen und mehr und mehr Macht an sich zu reißen. Wenn man bedenkt, das der Umsatz eines global operierenden Unternehmens den Staatshaushalt um ein mehrfaches überschreitet, dann kann man wahrscheinlich froh sein, wenn die Wahlen noch nicht von McGeld gesponsort werden.

In gleichen rasanten Tempo wie sich diese neue Kaste der Informationsabhängigen gebildet hat, verschob sich auch das Zentrum der Macht. Vor wenigen Jahren noch war es die mittelständischen Wirtschaft, waren es Schulen und Universitäten, war es die Familie, welche den ruhenden Pol in einem Staat bildeten. All das gilt nicht mehr. Die neuen Zentren der Macht sind jetzt Marketing-Agenturen, Privatfernsehsender und die unüberschaubare, in sich selber abgeschottete Welt der Fondsgesellschaften. Persönliche Beziehungen wurden ersetzt durch anonymes Kapital. Die Rolle von Schule und Universität tritt inmmer mehr in den Hintergrund, sie spielen allenfalls noch die Rolle des billigen Zulieferers von Arbeitsmaterial. (Verzeihung, ich meine natürlich Arbeitskräften). Doch auch das wird sich ändern, denn bald wird der gebildete Nachwuchs aus Ländern der dritten Welt kommen.

Die wahre Macht, die eigentlichen Entscheidungsträger sitzen auf der Seite des Kapitals. Im Besitz von Zeitungen und Fernsehsendern bestimmen sie schon lange den öffentlichen Geschmack. Bildung wird für die meisten bald nur noch darin bestehen zu wissen, wie sie ihren Videorecorder programmieren müßen. Alles andere wird eine zunehmend "intelligente" Software übernehmen. Bill Gates läßt grüßen!

Das diese Konzentration von Macht und Geld stattgefunden hat, ist nicht verwunderlich. Es liegt im Wesen des Kapitals begründet, das es beides, Macht und Geld, vermehren muß. Viel interessanter ist die Frage, warum es den meisten Menschen nicht auffällt, geschweige denn, warum sie nichts dagegen unternehmen, das ihr Leben von anonymen Kräften bestimmt wird, deren Funktionsweise undurchschaubarer geworden ist, als es sich Franz Kafka in seinem Roman "Der Prozess" vorgestellt hatte.

Die alte römische Theorie von Brot und Spielen hat die Jahrhunderte überlebt und feiert im 21. Jahrhundert eine rasante Wiederkehr. Sozialhilfe, die natürlich der Staat zahlen muß, und Privatsender (möglichst mit Pay-TV) besänftigen die Massen. Der Medienrummel und das öffentliche Interesse um die Reality-Show "Big Brother" läßt Schlimmes befürchten. Leben ohne Authentizität, Vorbilder aus dem Fernseher, Modediktat und Selbstverwirklichung um jeden Preis. Das ist unsere "Schöne, neue Welt".