Buchkritik -- Evelina Jecker Lambreva -- Entscheidung

Umschlagfoto, Buchkritik, Evelina Jecker Lambreva, Entscheidung, InKulturA Im Sommer 1987 wird Anja, eine junge Ärztin, wie viele ihrer angehenden Kollegen und Kolleginnen von der bulgarischen Administration zur medizinischen Versorgung der ländlichen Bewohner in die Provinz geschickt. In Svescht, einem Dorf in den Bergen des Balkans, muss sie sich trotz fehlender Berufspraxis bewähren. Die Einwohner begegnen ihr teils mit Skepsis, teils mit offener Ablehnung und es ist eine harte Zeit, die Anja durchmachen muss, bis sie Respekt und Anerkennung findet.

Es ist eine fremde Welt, die sich der jungen Frau darbietet. Die dörflichen Strukturen sind geprägt von Misstrauen, denn im Hintergrund zieht der „verdiente Kämpfer gegen Faschismus und Kapitalismus“ Nakov die Fäden. Einer der alten Garde also, ein Rädchen im Getriebe des Systems, dessen Macht und Einfluss niemand etwas entgegenzusetzen wagt.

Als sich Anja mit der Lehrerin Dora anfreundet, die in einem Heim für benachteiligte Kinder und Jugendliche, sprich Opfer zerrütteter Familien unterrichtet, gerät sie in den Fokus Nakovs, der sie zu einer Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst überreden will und ihr Privilegien wie Auslandsreisen verspricht. Als sie das Angebot ablehnt, scheint ihre berufliche Karriere beendet zu sein, bevor sie richtig begonnen hat. Doch durch ihre erfolgreiche Tätigkeit gelingt es ihr, sich zumindest einen Teil der dörflichen Einwohner gewogen zu machen.

Als das Gerücht von Glasnost, von Reisefreiheit und demokratischem Aufbruch die Runde macht, glaubt Anja, im Gegensatz zu ihrem Freund, an eine bessere Zukunft. Als das kommunistische System 1989 schließlich kollabiert, öffnet sich für die junge Ärztin eine neue Welt, doch eine Intrige Nakovs, der, auf einmal aller seiner Privilegien beraubt, der neuen Politik hasserfüllt gegenübersteht, zerstört auf dramatische Weise die Zukunft Anjas.

Evelina Jecker Lambreva zeichnet in ihrem Roman das Porträt einer Zwischenzeit, die sich, noch geprägt vom Alten, in der Figur der jungen Ärztin durch langsame, aber stetige Veränderungen ankündigt. Im Mikrokosmos des Dorfes mit den gegenseitigen Abhängigkeiten und Machtstrukturen überwiegen allerdings alte Verhaltensmuster und die Skepsis gegenüber dem sich abzeichnenden Wandel, dessen Wucht, auch das skizziert die Autorin mit feiner Feder, die Menschen teilweise überfordert.

Wie in allen ihren Romanen über die bulgarische Vor- und Nachwendezeit, thematisiert Lambreva auch in ihrem neuen Werk die Verwerfungen, die Zerstörungen der menschlichen Psyche und die vom politischen Opportunismus geprägte gesellschaftliche Atmosphäre, in der ein falsches Wort oder, wie im Roman, eine falsche, nicht im Sinn der Herrschenden getroffene Entscheidung fatale Auswirkungen haben konnte.

Es ist ein Roman der leisen, aber eindringlichen Töne, der nichtsdestoweniger eine Welt schildert, welche die Leserinnen und Leser auch dreißig Jahre nach dem Ende der kommunistischen Ära in Bulgarien noch mit Schaudern erfüllt.




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Veröffentlicht am 24. November 2019