Buchkritik -- Bettina Raddatz -- Der Spitzenkandidat

Umschlagfoto  -- Bettina Raddatz  --  Der Spitzenkandidat Kurz vor einer Landtagswahl wird der Spitzenkandidat der Partei ermordet, die sich aufgrund dessen charismatischer Ausstrahlung und seiner Akzeptanz in Wählerkreisen bereits als klarer Sieger gesehen hat. Die Erschütterung und Verwirrung ist groß, denn auf einmal scheint der Wahlerfolg in weite Ferne gerückt zu sein. Als sich auch noch herausstellt, dass die vermeintliche politische Lichtgestalt im Privatleben ein brutaler, seine Frau misshandelnder Mann gewesen ist, müssen politisch alle Register gezogen werden, um diese Tatsache zu verheimlichen.

Bettina Raddatz hat sich in ihrem Debütroman tief in den Sumpf hineinbegeben, der sich Politik nennt. Hinter der Kulisse von Bürgernähe und Demokratie werden persönliche Interessen gepflegt. Geheime Absprachen, Manipulationen und juristisch fragwürdige Handlungen bestimmen das politische Tagesgeschäft, das immer vor den Augen des "Stimmviehs" verborgen bleibt.

Da werden ungeniert Gesetze gebrochen, Wahlversprechen bereits mit der Absicht gegeben, sie nach der Regierungsübernahme zu brechen, unbequeme Staatsanwälte vorsorglich mit einer besser besoldeten Gehaltsgruppe versorgt und sogar vor einem Auftragsmord nicht zurückgeschreckt. Wahlkampfparolen erweisen sich als ebenso halbwertzeitig wie Freundschaften und Beziehungen. Moral und ethisches Verhalten kommen bestenfalls in Pressestatements vor und dienen vornehmlich als Opium für Wähler, die sich nicht davon abhalten lassen wollen betrogen zu werden.

Finanzielle Interessen von Konzernen werden sich von Politikern zu eigen gemacht, nicht ohne darüber den eigenen Profit aus den Augen zu verlieren. Persönliche Integrität und Loyalität sind dabei hinderlich und folgerichtig bei den latent kriminellen Abkömmlingen einer Politikergeneration, die sich eher als Technokraten der Macht verstehen, denn als Interessenvertreter des Volkes, Fremdwörter.

Der Spitzenkandidat ist ein böser Roman über den Zustand und die Methoden in den Schaltstellen der Macht. Das Lesepublikum wird sich des Öfteren fragen, wie viel daran Fiktion ist und was der Realität entsprechen könnte. Es ist zu befürchten, dass sich die politisch-wirtschaftlich-juristische Verfilzung auf eben dem geschilderten Niveau befindet und dass Bettina Raddatz, immerhin eine Schriftstellerin, die den politischen Tagesbetrieb aus eigener Erfahrung und unmittelbarer Nähe kennt, nicht übertrieben hat.

Dieser, im Wiener Braumüller-Literaturverlag erschienene, als erster einer Trilogie angelegte Band, ist eine Abrechnung mit politischen Gepflogenheiten, die sich sehr weit von Wahl- und Parteiprogrammen entfernt haben. Machterlangung und deren Erhalt machen anscheinend jedes Mittel recht. In einer Sphäre der politischen Einflussnahme, die sich krakenhaft auf jedes gesellschaftliche Subsystem legt, werden die Akteure selber Getriebene ihrer eigenen Handlungen. In den Zirkeln der Macht gibt es keine Freundschaften, Beziehungen oder Gefühle. Alle Beteiligten spielen nach denselben Regeln, die jeden am politischen Spiel Beteiligten zwangsläufig in Einsamkeit und Zynismus enden lassen. Trotzdem, oder zum Glück - der Autorin sei an dieser Stelle besonders gedankt - wird der Leser mit diesen moralischen Autisten kein Mitleid empfinden.

Es gibt im deutschsprachigen Literaturbetrieb leider kaum Bücher, die sich so hingebungsvoll mit den Schattenseiten eines sich nur noch selbst verpflichteten Politikbetriebes beschäftigen. Um so neugieriger kann man auf die folgenden Bände sein. Im Ersten werden Fäden geknüpft und zukünftige Handlungen vorbereitet, deren Konsequenzen bestimmt die folgenden Attribute haben werden - spannend, unterhaltsam und realistisch.

Bettina Raddatz ist es bereits mit ihrem Erstlingswerk gelungen, sich an die Spitze deutscher Realfiktion zu schreiben.




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