Buchkritik -- Vincenzo Latronico -- Die Verschwörung der Tauben

Umschlagfoto, Vincenzo Latronico, Die Verschwörung der Tauben, InKulturA Der entfesselte Finanzkapitalismus, der, initiiert von den sog. Märkten in den USA, wie eine globale Hydra die Welt fest im Würgegriff hat, reicht weit über die monetären Verhältnisse hinaus und greift tief hinein in die Gesellschaft und die Beziehungen der Menschen. Die anscheinend alles bewegende Frage lautet dann auch, wie weit sind diese bereit zu gehen, um als erfolgreich im Sinn der neuen wirtschaftlichen Ordnung zu gelten?

In seinem Roman "Die Verschwörung der Tauben" erzählt Vincenzo Latronico über eine Freundschaft zweier junger Männer aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Polen. Alfredo Cannella, der Sohn eines erfolgreichen venezianischen Unternehmers und Donka Berati, ein in prekären Verhältnissen lebender Albaner, lernen sich an der Mailänder Wirtschaftsuniversität Bocconi kennen. Der Verlauf ihrer Freundschaft wird zu einer Parabel über die Verwerfungen, die die Neue Wirtschaftsordnung hinterlässt.

Zwischen Alfredo und Donka steht Drina, ein „motivational consultant“, die in ihrer psychotherapeutischen Arbeit wirtschaftliche Führungskräfte, die sich in einer emotionalen Krise befinden und die Zweifel an sich und ihrem Beruf haben wieder auf den Kurs ihrer jeweiligen Arbeitgeber, in der Regel hochkarätige „decision-maker“, zu trimmen.

Während der Sohn des reichen Unternehmers sich immer in Konkurrenz stehend zu seinem Vater betrachtet, der ihn nicht ohne weiteres an seinem Geschäft beteiligen will, ist Donka bemüht, sich aus den ärmlichen Verhältnissen, aus denen er stammt, zu befreien. Eine Assistenzstelle bei seinen Professor Eugenio Corradini ist für ihn das Sprungbrett zu einer Universitätskarriere. Doch der plötzliche Tod seines Mentors beendet Donkas Zukunftsträume.

Wann wird aus einer Taube ein Falke? Diese Frage zieht sich durch den gesamten Roman und ist gleichsam das zentrale politische und gesellschaftliche Thema der Gegenwart. Die Liberalisierung des Finanzsektors hat neue Paradigmen geschaffen, die weniger auf persönlichen Beziehungen, sondern auf Profitmaximierung beruhen. Das ist die einzige Gemeinsamkeit, die zwischen den Menschen im System besteht, denn durch die Neue Wirtschaftsordnung wurden aus Bürgern Teilnehmer an einem Spiel, das von wenigen kontrolliert wird und dessen Gewinner diejenigen sind, denen es an Skrupeln und moralischem Bewusstsein fehlt. Kein Wunder, dass die „Motivatorin“ Drina keinen Mangel an Aufträgen hat, denn das praktizierte System Gierbefriedigung fordert permanent Opfer.

So sind dann auch die Spieler in einer Struktur gefangen, die sich, je nach monetärer Verortung, nur durch das zur Verfügung stehende Kapital unterscheidet. Die gesellschaftliche Schicht, in der Alfredo lebt, spielt zwar mit anderen Einsätzen als die, der Donka mit Renditeversprechen Kleinbeträge aus der Tasche zieht, doch das hinter allem stehende Ziel ist die Befriedigung individueller Gier.

Es ist eine sprachlose, weil monothematische Welt, die Latronico in seinem Roman beschreibt. Das Vokabular ist beschränkt auf die Schlüsselwörter der neuen monetären Ordnung – Investition und Rendite – und nur die Initiatoren groß angelegter und gewinnträchtiger Projekt wissen um das Pyramidensystem, das hinter 2-stelligen Ertragsversprechen steht. Die Mitspieler am, lapidar ausgedrückt, unteren Ende der Nahrungskette, bleiben darüber im Unklaren, was Donka, am Schluss zu einem Falken mutieren lässt, der jegliche Bedenken bezüglich seines Handelns verloren hat.

"Die Verschwörung der Tauben" ist ein beeindruckendes Lehrstück über die Verführbarkeit des Menschen und den immer drohenden Ausbruch atavistischer Kräfte - und wer will bezweifeln, dass die Gier zu ihnen gehört - die, nur scheinbar bezwungen durch den dünnen Firnis der Zivilisation, immer wieder die Oberhand gewinnen.




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Veröffentlicht am 18. April 2016