Buchkritik -- Elk von Lyck -- Die Frau am Fenster

Umschlagfoto -- Elk von Lyck -- Die Frau am Fenster La Rochefoucauld (1613-1680) sagte einmal treffend: "Mit der wahren Liebe ist es wie mit den Gespenstererscheinungen: alle Welt spricht von ihnen, aber wenige haben sie gesehen". Diese Reflexion des großen französischen Moralisten hat sich der Autor Elk von Lyck in seinem Roman Die Frau am Fenster zu eigen gemacht und ein episches Werk über eine Liebe geschrieben, der es gelingt, die dem Menschen auferlegten engen Grenzen von Raum und Zeit zu sprengen.

Achim Oster, erfolgreicher Rechtsanwalt, finanziell unabhängig, liiert mit einer ebenfalls erfolgreichen und attraktiver Frau, spürt einer seltsamen Leere in seinem Leben nach., die sich in Schlaflosigkeit manifestiert. Bei einem Trödler erwirbt er einige alte Fotos, darunter ein Porträt einer jungen Frau, welche an einem Fenster sitzt. Von diesem Foto fühlt er sich auf eine merkwürdige Art angezogen. Seine Lebensgefährtin überredet ihn, sich wegen seiner zunehmenden Schlaflosigkeit an einen Therapeuten zu wenden. Nach anfänglichem Zögern und deutlichen Vorbehalten willigt er ein und sucht einen Psychoanalytiker auf. Dieser verhilft ihm unter Einsatz von Hypnose zu einer Rückversetzung in seine Kindheit. Dadurch erlangt Oster Kenntnis über ein früheres, von ihm gelebtes Leben wieder.

Was sich in dieser kurzen Zusammenfassung so nüchtern und trivial ankündigt und den Einstieg in ein Fantasy-Abenteuer bedeuten könnte, ist in Wirklichkeit der Beginn eines epischen Werkes über die Kraft und die Macht einer Liebe, der es gelingt, sich über die ephemeren Bindungen und Beziehungen unter der wir,ach so modernen und individualisierten, Menschen leiden, hinweg zu setzen.

Achim Oster spürt dieses Unbehagen. Zuerst undeutlich und diffus. Sein Körper und seine Psyche reagieren darauf mit Schlaflosigkeit. Er begibt sich auf die Suche nach dem oder den Gründen für sein Gefühl und merkt schnell, daß der Schlüssel dafür in der Vergangenheit, in seiner Vergangenheit, zu finden ist.

Elk von Lyck hat mit seinem Roman ein vielschichtiges Werk über die Transzendenz der Liebe vorgelegt. Sie verbindet die Vergangenheit mit der Gegenwart. Sie gibt dem solitären Individuum Sinn und Bedeutung, zeigt jedoch auch dessen Möglichkeit des Scheiterns auf. Hätte Oster nicht auf seine innere Stimme, sein Unbehagen an und mit sich selber gehört, er wäre eingegangen in das zahl- und namenlose Heer derjenigen, die zwar genug materielle Sicherheit besitzen, deren Inneres jedoch niemals befriedigt werden kann, weil sie , unstet und mit unbehauster Psyche ihr Leben fristen.

Die Frau am Fenster ist ein Roman, der berührt und nachdenklich macht. Er handelt sowohl von der Realität, als auch von der Frage: "Was wäre gewesen, wenn...?" Im Mittelpunkt steht jedoch immer der Mensch, der, geworfen und gefangen im Sein, den für ihn richtigen Weg wählen muß. Dabei erweist sich das Gefühl und die Intuition einmal mehr als Ratgeber und Wegweiser durch das an zahlreichen Fallstricken, sowohl persönlicher, als auch gesellschaftlich-historischer Natur so reiche Leben.

Elk von Lycks Alter Ego, Max Lehnfeldt, das Vor-Leben von Achim Oster, beschreibt seine ostpreußische Heimat mit einer Detailgenauigkeit und Liebe, die bald darauf vom Wahnsinn des Zweiten Weltkriegs zerstört werden sollte. So findet Achim Oster, der sich zusammen mit einem Freund, interessanter weise ein Theologe, auf die Suche seiner Vergangenheit begibt, dort nur noch wage Spuren einstiger Schönheit vor.

Hier zeigt Lyck eindeutig worum es ihm geht. Die Materie unterliegt dem Prozeß des Verfalls und der Zerstörung. Die Liebe und die damit verbundene Hoffnung währt ewig. Wer das feine Organ besitzt, diese leise, aber mächtige Sprache zu hören und zu verstehen, der wird nicht im Strudel der Zeit untergehen.

So wie wir in unseren Kindern und Enkelkindern weiterleben, so leben wir auch in den von uns geliebten Menschen weiter. Elk von Lyck hat recht, wenn er sagt, daß nichts wirklich stirbt.

Achim Oster ist ein glücklicher Mensch. Er ist Heim gekommen.



Meine Bewertung:Bewertung