Buchkritik -- Hans-Joachim Maaz -- Das falsche Leben

Umschlagfoto, Buchkritik, Hans-Joachim Maaz, Das falsche Leben, InKulturA Als "wenig hilfreich" würde die Bundeskanzlerin vermutlich, sollte sie das Buch von Hans-Joachim Maaz überhaupt lesen, dessen Analyse der normopathischen, der angepassten Gesellschaft und damit der gesellschaftlichen und politischen Realität Deutschlands bezeichnen. Dabei zeigt die jüngste Vergangenheit, dass etwas nicht stimmt in unserem Land. Stromlinienförmiges Verhalten ist an der Tagesordnung und Kritik an Fehlentwicklungen, von denen es zahlreiche gibt, steht unter dem Generalverdacht "Rechts".

Bevor Maaz, Psychoanalytiker und Psychotherapeut, seine Gesellschaftskritik beginnt, arbeitet er sechs Persönlichkeitsstrukturen heraus, die eines gemein haben, ein verkümmertes Selbst, das durch elterliche Dressur und die daraus resultierenden Fehlentwicklungen zu einem, wie er es schreibt, falschen Leben führen.

Der bedrohte, der ungeliebte, der abhängige, der gehemmte, der vernachlässigte und der überforderte Typ, sie alle repräsentieren eine Gesellschaft, die geradezu danach verlangt, bevormundet und gelenkt zu werden. Anpassung und Unterordnung an selbst ernannte Autoritäten verhindern Kritik und ein selbstbewusstes politisches Engagement.

Es sind, so demaskiert Maaz die Surrogate scheinbar erfolgreichen Lebens, die Fluchten ins Materielle, in Karriere und Posten, die verhindern, dass überhaupt darüber reflektiert wird, warum und mit welchen Konsequenzen die bestehenden Mechanismen funktionieren.

Keine Frage, die gegenwärtige Politik, die laut Maaz ebenfalls von einem deformierten Selbst bestimmt wird, braucht, ja fordert und fördert Normopathen, ohne deren Zustimmung das verheerende Handeln der Volksvertreter gar nicht möglich wäre. Aus diesem Grund wird abweichendes Verhalten, wird Kritik an politischen Fehlentscheidungen diffamiert und der Dialog verweigert.

Der Leser erhält den Eindruck, ob von Maaz so gewollt, sei dahingestellt, als sei die Normopathie eine typisch deutsche Krankheit. Der Nationalsozialismus und, als dessen historische Erben, BRD und DDR, jedem System immanent war die Verführung durch eben das System und die Bereitwilligkeit der Menschen zur Unterwerfung und Anpassung.

Hans-Joachim Maaz ist bezüglich einer Wendung zum Positiven skeptisch, denn jeder von uns ist auf seine Weise von einer Deformierung des Selbst betroffen. Das Bestmögliche besteht darin, diesem zweifelhaften Erbe durch das Wissen darum Grenzen zu setzen. Doch das verlangt andere, stärkere Charaktere als derzeit zur Verfügung stehen.




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Veröffentlicht am 16. Juli 2017


Interview mit Hans-Joachim Maaz im Berliner Tagesspiegel