Buchkritik -- Rory MacLean -- Durch Europa!

Umschlagfoto, Buchkritik, Rory MacLean, Durch Europa!, InKulturA Nach dem Ende des Kommunismus und dem Fall der UdSSR und ihrer Satellitenstaaten machte Rory MacLean sich auf den Weg, um in diesen Ländern das neue Gefühl der Freiheit, die Begeisterung angesichts versprochener Möglichkeiten und die Freude über den Zusammenbruch der Diktaturen zu dokumentieren.

1989/90, so glaubten nicht nur viele Menschen in den Staaten des Ostblocks, schien die Welt vor einer langen Periode des Friedens zu stehen, politische und persönliche Freiheit sollten einhergehen mit materiellem Wohlstand und es wurde gar das Ende der Geschichte propagiert, die jetzt, nach dem Überwinden des Kommunismus, eine Ära immerwährenden Liberalismus sein würde.

Wenn einer eine Reise macht, lernt er mitunter nicht nur Neues kennen, sondern wird manchmal auch enttäuscht. Nach über dreißig Jahren machte sich MacLean erneut auf den Weg, um die damalige Aufbruchstimmung, die Hoffnungen und Wünsche der Menschen mit der heutigen Realität zu vergleichen. Es wird kein angenehmes Unterfangen, denn die Träume haben sich zerschlagen, wurden zunichtegemacht von ehemaligen Apparatschiks, Partei- und Geheimdienstbonzen, die sich die besten und lukrativsten Brocken aus den Trümmern des Kommunismus ausgesucht und in ihre persönlichen Portefeuilles überführt haben.

Neben den ökonomischen Raubzügen, oft mit Unterstützung westlicher Banken und Investoren, fand auch die lang ersehnte Demokratie keinen Eingang in die Politik und nicht selten wechselten in den Büros der Herrschenden noch nicht einmal die Namensschilder. Für die, die sich Veränderungen wünschten, blieb so ziemlich alles beim Alten. Die, die an der Macht waren, wurden Millionäre.

Es ist eine Reise durch Länder, die sich erneut vor den Expansionsgelüsten eines Russlands fürchten, das seinen Bürgern mangels wirtschaftlicher Prosperität Großmachtträume verspricht und mit martialischen Aufmärschen, Festivals und Messen Stärke demonstrieren will. Angesichts dieses Säbelrasselns flüchten sich manche der damals unter kommunistischer Herrschaft leidenden Staaten nur allzu gerne unter die vermeintlich schützenden Hände westlicher Organisationen. Mit dem Ergebnis, dass latent vorhanden Konflikte weiter, gefährlich weiter geschürt werden.

Gleich am Anfang des Buches schreibt MacLean: „Wir alle mögen eine gute Geschichte. Wir alle brauchen eine Erzählung für unser Leben. Die wirkungsvollsten Geschichten geben uns eine Idee oder eine Person, an die wir glauben können, sowie jemanden, dem wir die Schuld geben können, wenn etwas schiefgeht.“ Und so reist er, immer auf der Suche nach Geschichten und Gesprächspartnern, von Moskau auf die Krim, zurück nach St. Petersburg hinüber nach Estland, Kaliningrad und Transnistrien – eine Gegend, in der rücksichtslose Männer einen inoffiziellen Staat betreiben, der sich durch moralische und geografische Ambiguität einen zweifelhaften Ruf erworben hat.

Danach geht es weiter in die Ukraine, nach Ungarn, Polen und Deutschland, wo MacLean den Flüchtlingen, die nationale politischeStrömungen fürchten, eine Stimme gibt. Er trifft Einheimische, bis auf wenige Ausnahmen Verlierer des Systemwechsels, und überall, wo er hingeht, speist, trinkt und tanzt er mit ihnen. Aber er bewegt sich so schnell, dass wir niemanden wirklich kennenlernen, und daraus resultiert ein einfaches, aber kurzlebiges Lesen.

Auch wenn seine Geschichten etwas dicht und trostlos klingen, versteht er es doch, dass es sein Lesepublikum nicht als solches interpretiert, denn MacLeans Buch ist außerordentlich gut lesbar. Die Geschichte(n) und die Politik Osteuropas werden oft mit Humor und trockenem Witz erzählt. MacLean schreibt schließlich kein Lehrbuch, sondern eine Reihe detaillierter Anekdoten über seine Erfahrungen.

Das ist dann auch die Schwäche des Buches: Der Autor geht davon aus, dass seine Erfahrungen mit Osteuropa universell sind. Auf der einen Seite finstere Nationalisten und auf der anderen mutige Demokraten. Seine Darstellung Russlands als ausschließlich korrupt und hoffnungslos, ist vielleicht nicht unbedingt fair gegenüber den Menschen, die dort tatsächlich ihr Leben führen.

Aus diesem Grund ist der Untertitel der deutschsprachigen Ausgabe nicht ganz zutreffend. Rory Maclean macht keine „Reise auf der Suche nach Wahrheit“, sondern der Leser hat oft den Eindruck, dass er seine Wahrheit, seine Erzählung, zweifelsohne sehr gut lesbar verpackt, nur bestätigt sehen möchte.




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Veröffentlicht am 30. September 2020