Buchkritik -- Marisha Pessl -- Die amerikanische Nacht

Umschlagfoto, Marisha Pessl, Die amerikanische Nacht, InKulturA Die Leiche der 24-jährigen Ashley wird in Manhattan gefunden. Hat die Tochter des besessenen Regisseurs Cordova Selbstmord begangen oder liegt ein Verbrechen vor? Der Enthüllungsjournalist Scott McGrath wittert die Chance, sich noch einmal mit dem mysteriösen Regisseur beschäftigen zu können, der den Reporter wenige Jahre zuvor erfolgreich wegen Verleumdung verklagt hatte.

Mit dieser Klage war die Karriere von McGrath beendet, seine Ehe zerbrach und auch das Besuchsrecht für seine kleine Tochter ist gefährdet. Trotzdem macht sich der Journalist daran, den Tod von Cordovas Tochter, den die Polizei als Selbstmord erklärt, näher zu untersuchen. Bei seinen Recherchen lernt er Nora und Hopper kennen und zusammen versuchen sie dem Rätsel des Todes von Ashley auf die Spur zu kommen.

Marisha Pessl hat einen Roman geschrieben, der, stilistisch anknüpfend an den "Film Noir", das Dunkel der menschlichen Psyche ausleuchtet. Aus investigativem Journalismus wird schnell eine Achterbahn der seelischen und psychischen Abgründe. Cordova, ein Regisseur von Horrorfilmen, deren Schrecken nicht in externen Dingen, sondern in der menschlichen Vorstellungskraft liegen, entzieht sich mehr und mehr den Nachforschungen. Der Filmemacher war ein Meister der subtil-schrecklichen Gruselfilme, gerade weil seine Themen schonungslos die innersten Ängste der Menschen offenbarten und damit auch die Grenzen des Erträglichen weit über die noch handlungsfähige Psyche des Zuschauers heraus verschob.

Nachdem Cordova 1977 seinen letzten Film gedreht hatte, verschwand er spurlos. Scott McGrath indessen versucht mit immer größer werdender Besessenheit, den ehemaligen Regisseur zu finden. Es soll für ihn eine Reise in die eigenen Obsessionen werden, da es Gerüchte gibt, dass Cordova bei seinen Gewaltszenen Menschen zu Tode brachte und auch der hinter vorgehaltener Hand erhobene Vorwurf der Kinderschändung treibt ihn dazu, bei seinen Recherchen alle Grenzen zu übertreten.

"Die amerikanische Nacht" ist ein Roman, der gleich mehrere Genres genial miteinander kombiniert. Elemente des Kriminalromans treffen auf Psychohorror, Gesellschafts- und Medienkritik korrespondieren mit Versatzstücken aus Dokumentarfilmen, Nachrichtenredaktionen und dem diffusen Informationsrauschen des Internets.

Der Leser ist eingespannt zwischen magischen Ritualen und Mordermittlungen. Er verliert schnell den Boden der Realität, wenn er sich auf diesen hervorragend komponierten Roman einlässt. Es sind die von der Autorin gnadenlos geplünderten Elemente der Film- und Literaturgeschichte, die aus diesem Roman ein düsteres Feuerwerk morbider Stimmung, gepaart mit teils absurden Erlebnissen macht.

Allein McGraths Odyssee durch "The Peak", dem ehemaligen Wohn- und Drehort Cordovas, ist eine literarische Meisterleistung des erzählten Irrsinns. Hitchcock trifft auf Jorge Luis Borges und E.T.A. Hoffmann wandelt auf Edgar Allan Poes Pfaden. Marisha Pessl hat ihnen allen ein würdiges Denkmal gesetzt.

"Die amerikanische Nacht" ist aber auch ein Roman, der die verzweifelte Suche des Individuums nach Sinn schildert. Je mehr sich Cordova den Nachforschungen entzieht, desto verbissener machen sich McGrath, Nora und Hopper daran, das ihn umgebende Geheimnis zu lüften. Jeder von ihnen hat seine eigenen Beweggründe, sich zusammen mit den anderen auf die Suche zu machen. Nicht weiter verwunderlich also, wenn auch jeder von ihnen etwas anderes finden wird.

Gibt es die große Wahrheit? Sind die Gerüchte über Cordova zutreffend oder sind sie ein Teil bewußter Desinformation? Der Leser, der sich diese Frage beantworten will, muss, so wie der Roman, tief in sich hineinschauen - und sogar dann ist nicht gewiss, ob die Realität das ist, was sie vorzugeben scheint.

Ganz klar, "Die amerikanische Nacht" von Marisha Pessl ist ohne Zweifel eines der herausragenden Bücher des Jahres 2013.




Meine Bewertung:Bewertung

Veröffentlicht am 19. November 2013