Buchkritik -- Kettly Mars -- Der Engel des Patriarchen

Umschlagfoto, Buchkritik, Kettly Mars, Der Engel des Patriarchen, InKulturA Wer mit dem Werk der haitianischen Schriftstellerin Kettly Mars vertraut ist, dürfte angesichts ihres neuen Romans etwas verwundert sein bezüglich dessen diesmal tief in der kreolischen Kultur angelegten Themas, das sich, wie in den anderen Büchern der Autorin immer wieder subtil thematisiert, weniger mit der politisch-gesellschaftlichen Situation Haitis beschäftigt, sondern eine spirituelle Familienchronik erzählt, in der für die Sünden der Vergangenheit die in der Gegenwart lebenden Personen haftbar gemacht werden.

Der Großvater Emanuelas schloss mit dem Marquis von Truitier, der Nom de Guerre des Voodoo-Engels Yvo, einen Vertrag – Faust lässt grüßen –, der ihm zu noch mehr Reichtum und Macht verhelfen sollte. Dieser Pakt hatte natürlich seinen Preis und es wurde dem Engel Yvo ein Opfer versprochen, ein Lamm in der Person seines Enkels Jacques, diese Schuld jedoch nie beglichen. Man kann den dunklen Mächten viele Attribute zuordnen, Vergesslichkeit gehört jedenfalls nicht dazu und so kommt es, dass die Familie fast siebzig Jahre später für die Vertragsbrüchigkeit des Großvaters zur Rechenschaft gezogen wird.

Emanuela, eine mit beiden Beinen im Leben stehende Frau, verwitwet und Mutter eines erwachsenen Sohnes, zudem Direktorin einer Bankfiliale in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince und dadurch in sicheren finanziellen Verhältnissen lebend, an Zahlen und nüchternen Fakten orientiert, bemerkt auf einmal, wie sich ihre Realität sukzessive verändert.

Sie vernimmt in ihrem Haus Geräusche, die sie sich nicht erklären kann. Bilder hängen auf einmal schief an der Wand und üble Gerüche wabern durch die Zimmer. Als sie bei ihrer älteren Cousine Couz Rat sucht, weiht diese sie in das Geheimnis ihrer Familie ein. Anfangs nur widerwillig den Erzählungen ihrer Verwandten Glauben schenkend, erkennt sie nach und nach einen Zusammenhang zwischen plötzlichen und unerklärlichen Todesfällen, denen vor Jahren auch ihr Ehemann zum Opfer fiel und jetzt, in der Gegenwart, ebenso ihr Geliebter. Krankheiten befallen auf einmal die Familie und auch andere mysteriöse Vorkommnisse zeigen ihr, dass unter dem dünnen Firnis der Realität eine andere Macht mit eigenen Regeln existiert.

„Der Engel des Patriarchen“ ist ein düsterer Roman, der, und hier schlägt Kettly Mars dann doch wieder einen Bogen zur haitianischen Gegenwart, den Schattenwurf der in der Vergangenheit getroffenen falschen Entscheidungen und Handlungen auf die Gegenwart zeigt. Emanuela, selbstbewusst und gebildet, verkörpert das moderne Haiti, aber sie muss auch erkennen, dass sie den Kampf gegen den Fluch aufnehmen muss – durchaus mit ungewissem Ausgang.




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Veröffentlicht am 9. November 2019