Buchkritik -- Abdelwahab Meddeb -- Die Krankheit des Islam

Umschlagfoto  --  Abdelwahab Meddeb  --  Die Krankheit des Islam Die Attentate vom 11. September 2001 haben schlagartig die Bedeutung des militanten Islamismus in den Focus der Weltöffentlichkeit gestellt. War es für die große Masse vorher ein Thema unter vielen, so bedeuteten diese Verbrechen, daß sich jetzt auch die Allgemeinheit mit dem Thema Islam und religiöser Fundamentalismus beschäftigte. Viele Fachleute, die meisten davon Selbsternannt, veröffentlichten Bücher, schrieben Artikel in Magazinen und Zeitungen und gaben ihre Meinungen im Fernsehen bekannt. An die meisten von ihnen erinnert sich niemand mehr und sie selber sind zur tagespolitischen Normalität zurückgekehrt. In den allermeisten Fällen ist dies auch besser gewesen, denn die abgegebenen Analysen spiegelten mehr als einmal die Unwissenheit ihrer Autoren. Daß es auch anders, besser, geht, zeigt Abdelwahab Meddeb mit seinem Buch Die Krankheit des Islam .

Abdelwahab Meddeb, 1946 in Tunis geboren und zur Zeit als Hochschulleher, Lyriker und Essyaist in Paris lebend, hat sich dem Thema Islamismus aus einer anderen Richtung genähert. In seinem kleinen, aber ausgesprochen tiefgründigen philosophisch-historischen Essay arbeitet er die Geschichte des Islam und mit ihr die beiden Hauptströmungen heraus. Zum einen die humane und poetische der Freigeister und mittelalterlichen Mystiker, wie der Mo`taziliten. Ebenso die der Dichter um Abu Nuwas und al-Ma`arri. Auf der anderen Seite die militärisch-militante und einengende, den Koran rigide auslegende Tradition der Dogmatiker und Reinheitsfanatiker unter Ibn Hanbal und Ibn Taymiya. Auch auf Abd al Wahhab als Erneuerungsideologie wird ebenso eingegangen wie auf die xenophoben Theoretiker des modernen Islamismus unter Führung von Rashid Ridha, Hassan al-Banna und Sayyid Qutb.

Meddeb zeichnet sich durch eine überlegene Belesenheit aus. Anhand von vielen Beispielen zeigt er die andere, mehr oder weniger unbekannte Seite des Islam. Tolerant, weltoffen und ausdrucksstark. Für ihn ist der moderne islamische Fundamentalismus die eigentliche Krankheit des Islam. Einst führend auf nahezu allen Gebieten der Wissenschaft und Kunst, hat sich der Islam seit dem späten 18. Jahrhundert von der Entwicklung der (westlichen) Wissenschaften abgekoppelt und sich davon nie wieder erholt, bzw. den Abstand verringert. Dieser zunehmende Rückstand, der sehr wohl in der islamischen Welt wahrgenommen wurde, führte nicht zum Aufbruch in eine neue Zeit, sondern er bediente auf das Beste die entstehenden Ressentiments gegen den Westen. Seine Kultur und seine Wissenschaft werden als unislamisch abgetan und in der modernen Form des heiligen Krieges bekämpft.

Durch die, sich im 18. Jahrhundert entwickelte Veränderung des Weltbildes, die Entstehung der Wissenschaften und das daraus resultierende neue Verhältnis zwischen Religion und gesellschaftlicher Realität hat der Westen die islamischen Staaten überholt. Der Orient verlor den Kontakt zum Okzident. Der Segen der Bodenschätze dieser Region, sprich Erdöl, wurde schnell zum Fluch. Die in jene Länder strömenden Petrodallars bewirkten viel, jedoch keine gesellschaftliche Veränderung und Erneuerung des Islam. Abdelwahab Meddeb führt als Beispiel Saudi-Arabien an. Wirtschaftlich lange Zeit prosperierend, gelang es doch nicht, das Land den veränderten Bedingungen in einer veränderten Welt anzupassen. Der Koran verbietet dieses jedenfalls nicht.

Abdelwahab Meddeb hat ein Buch geschrieben, welches die andere, künstlerische und tolerante Seite des Islam zeigt. Die Geschichte zeigt, daß diese Seite keine Fiktion, sondern Realität war. Die maurischen Epoche in der spanischen Geschichte beweist dies. Meddeb betont aber auch zu recht, daß sich religiöser Fundamentalismus nicht auf den Islam beschränkt. Zu allen Zeiten haben die Religionen ihr schreckliches Haupt in Form von Intoleranz und Haß auf Andersdenkende erhoben. Erst wenn diese Krankheiten überwunden werden, wird es ein wirkliches Neben- und Miteinander geben. Autoren wie Abdelwahab Meddeb tragen daran einen großen Anteil.




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