Buchkritik -- Martin Mosebach -- Taube und Wildente

Umschlagfoto, Buchkritik, Martin Mosebach, Taube und Wildente, InKulturA Es geht etwas zu Ende, eine Ära vermeintlicher Sicher- und Gewissheiten nähert sich dem Abschluss. Dabei beginnt alles fast zu schön. Sommer in der Provence, und nicht mehr so schön, ein Haus, dessen Substanz sich der Endlichkeit nähert und ein Familien- und Arbeitstreffen, das unter keinem guten Stern steht.

Der finanziell klamme Verleger Ruprecht Dalandt, dessen schöngeistiges Gewerbe zwar das Lob des Feuilletons erhält, jedoch vom Geld seiner Ehefrau Marjorie abhängt, das zudem „böses Geld“ ist, weil mit kolonialer Ausbeutung in kongolesischen Bergwerken gemacht und, quasi als Tiefenreiniger des Gewissens, in Kunst angelegt wurde. So befindet sich das schöne Häuschen, dessen Wände zahlreiche Gemälde zieren dann auch in Besitz einer Stiftung, die, zum Ärger Marjories, aus pekuniären Gründen mit Argusaugen über das Anwesen wacht.

Die Beziehungen untereinander sich kühl und von gegenseitigem Misstrauen geprägt. Die Ehe des Verlegers ein gut bürgerlich gehobener Schein. Paula, die Tochter Marjories aus erster Ehe und Mutter eines kleinen Mädchens, als dessen Vater sich Ruprecht herausstellt und die mit ihm ein langjähriges Verhältnis hat, ist ein komplizierter und unberechenbarer Charakter; eine Frau, die zu Wutausbrüchen neigt und deren schlappschwänziger Freund Max, der noch Mitte dreißig von einer Karriere als Pianist träumt und mit einer an Willenlosigkeit grenzenden Eigenschaftslosigkeit die verbalen Attacken und Stimmungsschwankungen Paulas über sich ergehen lässt.

Zwei Angestellte des Verlags, das sich als potent erweisende, im Pförtnerhaus logierende Faktotum und ein aus Portugal stammendes Ehepaar, Hausangestellte mit vermeintlich lebenslanger Arbeitsplatz- und Wohnzusicherung komplettieren die trügerische Idylle.

Ein bislang im Haus unauffällig hängendes, weil nicht beachtetes Gemälde des deutschen Malers Otto Scholderer „Taube und Wildente“ bringt Bewegung in die ohnehin strapazierte Atmosphäre, denn Ruprecht will dieses Bild unbedingt in seinen Besitz bringen, da es für ihn das Meisterwerk und der Höhepunkt einer Stilrichtung ist.

Es beginnt ein Psychospiel, denn das Geld, das Marjorie für das Bild haben will ist genau die Summer, die die Reparatur des Daches kosten würde und, pikanterweise, die Summe, die das potente Faktotum benötigt, um seiner in England lebenden Schwester den Anteil eines geerbten Hauses abzukaufen.

Auflösung allerorten und auch in der Heimat droht Ungemach, denn der Edelverlag Dalandts wird von einem Großverlag übernommen und die beiden Angestellten, die aus opportunistischen Gründen eine Ehe eingehen, zu Führungspersonal gemacht.

Die Apokalypse folgt zwangsläufig. Das Haus in der Provence fällt einem Unwetter zum Opfer und die Wohnung in Frankfurter Westend wird ein Opfer der Flammen, ausgelöst durch einen brennenden Weihnachtsbaum.

Wenn Martin Mosebach über das Ende einer Ära schreibt, dann nicht mit Pauken, Trompeten und Knalleffekten , sondern feinsinnig literarisch. Nichtsdestoweniger ist „Taube und Wildente“ die Ankündigung einer bevorstehenden Dystopie.




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Veröffentlicht am 29. Januar 2023