Buchkritik -- Llucia Ramis -- Verortungen

Umschlagfoto, Buchkritik, Llucia Ramis, Verortungen, InKulturA Als die in Barcelona lebende und arbeitende Ich-Erzählerin zurück nach Mallorca reist, um ihren an mentalen Problemen leidenden Vater zu besuchen, ist sie auf einmal wieder präsent, die eigene Vergangenheit, die niemals wirklich vergangen ist, sondern stets wieder auftaucht und so ahnt sie nicht, dass die Rückkehr auf die Insel gleichzeitig eine Konfrontation mit der Geschichte ihrer Familie und ihren Kindheitserlebnissen bedeuten würde.

Die dreißig-jährige Journalistin kommt zurück auf eine Insel, die gefüllt ist mit Erinnerungen an Orte, Liebesgeschichten und einem immer latent im Hintergrund lauernden geschäftlichen Ereignis, den Bankrott der Firma des Großvaters, dessen Geschäftsführer sich auf dubiose Machenschaften einließ und damit die Reputation des Großvaters dauerhaft beschädigte, der sich zwar nichts hat zuschulden kommen lassen, doch als Mitgesellschafter zumindest eine Verantwortung für das Handeln seines Partners hatte.

Auf zwei Zeitebenen handelnd, erzählt Llucia Ramis eine Familiengeschichte, ohne die Leserinnen und Leser zu Voyeuren zu degradieren, sondern sie werden stumme Zeugen einer Rückschau, die, ausgehend von Begegnungen und Erlebnissen in der Gegenwart, immer wieder auf Vergangenes rekurriert. Da ist Can Meixura, das Landgut der Großeltern, auf dem sie einen großen Teil ihrer Kindheit verbringt und das als Folge des Bankrotts verkauft werden muss. Da dringt auch die einseitig emotionale Beziehung zu einem älteren Mann wieder ins Bewusstsein, von der sich die Erzählerin noch nicht vollständig gelöst hat.

Da ist nicht zuletzt ihr Vater, der auf tragische Weise der Figur des Don Quichotte ähnelnd, seinen ganz persönlichen Kampf gegen die Ungerechtigkeit der Welt führt und dessen Auslöser in der Errichtung einer Mauer unmittelbar vor seinem Landhaus Son Cors besteht, das er wieder bewohnbar machen wollte und der ihn durch die Intensität, mit der er ihn betreibt, fast in die Isolation führt.

Es ist aber auch ein Roman über das Schreiben, sei es das journalistische oder, die Erzählerin hat einen Roman veröffentlicht, der vom Feuilleton als „Generationenroman“ gefeiert wird, das literarische, das Bewunderer, ambitionierte Kritiker und leider auch literarische Stalker auf den Plan ruft.

Als Journalisten und Literatin finanziell mehr oder weniger prekär lebend, emotional und bindungsmäßig ebenso, ist die temporäre Rückkehr in die Heimat gleichsam eine Reise in die Vergangenheit, in der alles den Anschein von Sicherheit und Geborgenheit besaß, der jedoch durch das finanzielle Desaster des Großvaters überschattet wurde.

„Verortungen“ ist ein sensibler und unaufgeregter Roman über eine Generation, für die es normal zu sein scheint, sich in gelebter Unsicherheit einrichten zu müssen und für die aus diesem Grund die eigene Vergangenheit als die einzig belastbare Option für eine sich fragil darstellende Gegenwart erscheint.




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Veröffentlicht am 7. September 2019