Buchkritik -- Frank Schirrmacher -- Ego: Das Spiel des Lebens

Umschlagfoto, Frank Schirrmacher, Ego: Das Spiel des Lebens Die apokalyptischen Reiter sind unterwegs, und nur Frank Schirrmacher hat es bemerkt. Nicht mehr zu Pferde sind sie auf Tour, nein sie rasen mit Höchstgeschwindigkeit durch die globalen Datennetze und machen sich an ihre destruktive Arbeit. Das Ende des Kalten Krieges hat ein Monster erschaffen, das, so der Autor, sich die Abschaffung jeder gesellschaftlichen und persönlichen Loyalität zum Ziel gesetzt hat. Diese Kreatur hat von uns in Form der "Nummer 2", einer neuen Art "Homo oeconomicus" Besitz ergriffen und setzt alles daran, die Freiheit des Einzelnen mit den Marktkonformitäten der Zukunft kompatibel zu machen.

So weit, so gut. So plakativ, so falsch. Frank Schirrmacher geht in seiner groß angelegten Analyse von der, vor über 60 Jahren vom US-amerikanischen Militär benutzten Spieltheorie aus. Die Zeit des Kalten Krieges stand immer unter der Drohung der atomaren Vernichtung. Sowohl die UdSSR als auch die USA hatten das nukleare Potential, um die Erde mehrfach vernichten zu können.

Bei diesem Szenario war es wichtig, über die Pläne des Gegners informiert zu sein und darauf eine angemessene Reaktion zu finden. Die Spieltheorie kam, im wahrsten Sinn des Wortes, ins Spiel und wurde die Grundlage für die militärischen und, nach dem Ende des Kalten Krieges, wirtschaftlichen Entscheidungen. Diese Theorie ging davon aus, dass alle Mitspieler aufgrund egoistischer Motive handeln würden und es keine Möglichkeit der rationalen Verständigung geben könnte.

Diese Theorie ist der Ausgangspunkt Schirrmachers genereller Finanz-, Wirtschafts- Zivilisations- und Politikkritik. Es war, wie bereits erwähnt, eine Theorie aus den 50er Jahren und die inzwischen, vom Autor anscheinend nicht zur Kenntnis genommen, ganz andere Parameter in ihre Gleichungen eingebaut hat. Nicht mehr der individuelle Egoismus, sondern das Streben nach Zusammenarbeit und einer Konfliktlösung, die allen Beteiligten Vorteile bringt, steht jetzt im mathematisch-sozialen Fokus.

Frank Schirrmacher will mit seinem Buch "Ego: Das Spiel des Lebens" eine Verschwörung aufdecken, die in Wahrheit gar keine ist. Dazu bemüht er zwar die Schauerliteratur des 19. Jahrhunderts mit ihren Frankensteins und Mr.Hydes und sogar die Automaten des 18. Jahrhunderts müssen herhalten, doch das Individuum ist nun einmal keine Maschine, die sich mit anderen Maschinen vernetzt, keine Nummer 2, die ausschließlich ökonomische Entscheidungen trifft und deren Programmierung nur den eigenen Vorteil kennt.

Jede Familie, jede solidarische Beziehung, ja sogar jedes Liebesverhältnis beweist die fatale Schirrmachersche Reduzierung des Menschen auf einen primitiven Materialismus. So funktioniert Gesellschaft einfach nicht, auch wenn der Autor hinter jedem Datenknoten, hinter jeder programmierten Computerentscheidung und hinter allen Marktbeteiligten einzig die egoistische Entscheidung der Nummer 2 wittert.

Die globale Finanzkrise wurde nicht von jenen Denkern verursacht, die nach dem Ende des zweiten Weltkriegs von der amerikanischen RAND Corporation unter Zuhilfenahme des mathematischen Modells der Spieltheorie die US-amerikanische Politik gegenüber der UdSSR bestimmt hatten und die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auf die Bankenwelt übertragen wurde, sondern, und das ist die einzig korrekte Aussage in Schirrmachers Buch, von einer "Politik, die sich von den Märkten getrieben" sah.

"Ego: Das Spiel des Lebens" ist ein Buch, dass sich von der Rationalität, von der Logik, von der Benutzung des menschlichen Verstandes, ja sogar von der Aufklärung verabschiedet hat und sich der Beschwörung Dunkler Mächte widmet. Nummer 2, so wie Schirrmacher ihn versteht, ist der Getriebene eines anonymen Marktes, der sein Leben und seine Handlungen bestimmt. Ohnmächtig muss er zusehen, wie der Datenkrake Internet seine Persönlichkeit zu einem transparenten, für alle einsehbaren Gemisch aus Nullen und Einsen transformiert.

Wenn ein Buch wie "Ego: Das Spiel des Lebens" mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit daherkommt und doch in Wahrheit eher feuilletonistisch ist, ist große Vorsicht geboten. Was aufklärend und informativ sein will, ist in diesem Fall nur alarmistisch und kommt eher aufgeregt und hysterisch daher. Nun steht es jedem Autor frei, ein schlecht recherchiertes und sich nicht auf der Höhe aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse befindendes Buch zu veröffentlichen. Bedenklich wird es jedoch, wenn bereits vor der Veröffentlichung eine mediale Hype einsetzt, die solch eine Arbeit vorauseilend in den höchsten Tönen lobt. Feuilletonisten halten anscheinend zusammen - oder liegt es vielleicht daran, dass diese Damen und Herren den wissenschaftlichen Fortschritt ignorieren? Immerhin lässt sich auf diese Weise trefflich der Kontakt mit der realen Welt vermeiden.

Ach ja, für alle, die sich wirklich mit Nummer 2 identifizieren: Einfach mal den Rechner ausschalten, einen Spaziergang machen und über die wirklich Schuldigen der globalen Finanzkrise nachdenken. Da wird man nicht bei der Technik fündig, sondern bei der Systemfrage. Und deren Beantwortung erfordert, im Gegensatz zu Schirrmachers vernetzten Unkereien, persönlichen Einsatz. In Anbetracht dessen ist es vielen vielleicht angenehmer, sich lieber auf die ihnen vom Autor angedichtete Rolle des "Homo oeconomicus" reduzieren zu lassen.




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