Buchkritik -- Shumona Sinha -- Erschlagt die Armen

Umschlagfoto, Shumona Sinha, Erschlagt die Armen, InKulturA Migration bedeutet nicht zuletzt, die Wurzeln der Herkunft zu kappen und in einem neuen Land den Versuch einer neuen Identität zu unternehmen. Das mag in Einzelfällen funktionieren, in der Regel jedoch dürfte Scheitern vorrangig sein.

Wenn, wie in dem schmalen Roman von Shumona Sinha, die namenlose Ich-Erzählerin selber vor Jahren nach Frankreich migriert ist, eine Stelle als Dolmetscherin in der Asylbehörde hat und täglich mit Menschen konfrontiert wird, die ebenfalls eine Möglichkeit suchen, in Europa bleiben zu können, so bleibt es nicht aus, dass sie genau vor diesen Personen, die mit Lügen und Tricks versuchen bei den Beamten, die darüber entscheiden, ob dem Antrag stattgegeben wird oder nicht, Mitleid zu erregen, Ekel und Aggressionen empfindet.

Es ist ein Rückblick, mit dem die Protagonistin sich selber erklären will, warum sie im Affekt in der Metro einen Asylbewerber erschlagen hat. Sie sitzt in Polizeigewahrsam und lässt ihrem Selbstekel vor sich und dem System freien Lauf.

Der provokante Titel "Erschlagt die Armen" ist dann auch nur Strohfeuer einer entwurzelten Person, die in jedem Asylbewerber einen Verwandten im Geist sieht, sich jedoch gleichzeitig über die Betrugsversuche dieser Menschen erregt, gerade weil sie mit allen Mitteln versuchen zu erreichen, was der Erzählerin scheinbar gelungen ist, ein neues besseres Leben.

Doch sie, die Namenlose und entwurzelte, in schnellem, anonymen Sex Befriedigung suchend, ist selber Opfer ihrer Geschichte. Diese Erkenntnis projiziert sie auf die Massen der einströmenden Menschen und schwankt permanent zwischen Mitleid, das schnell vergeht und Wut ob der vielen Lügen, die sie übersetzen muss.

Der Roman, bereits 2011 in Frankreich erschienen, bleibt trotz ausladender Diktion, weniger bildhafte Darstellung wäre besser gewesen, im Fahrwasser ausufernder Selbstbespiegelung, die dem Leser eine Person zeigt, die in ihrer neuen Heimat immer noch einen Fremde ist.




Meine Bewertung:Bewertung

Veröffentlicht am 15. November 2015