Leseprobe -- Martin Hecht -- Unbequem ist stets genehm

Schon bald ästhetisierte sich die neue populäre Protestkultur, wenn auch in einer Art, die noch den geringsten Anflug an Eleganz als latent chauvinistisch kompromittierte. Rasch schlug sie sich in einem sozialpsychologischen Habitus nieder, der sich überraschend lange halten konnte und vereinzelt selbst heute noch zu Tage tritt. Bei vielen heute Fünfzig bis Sechzigjährigen verrät sich das emanzipatorische Gesinnungserbe noch immer in identifikationsstiftenden optischen Restkategorien wie etwa dem Epplerschen Käpt‘n Ahab Bart oder in der reflektierte Gelassenheit verkörpernden Pfeifenraucherkultur. Die weibliche Variante dieses Typs erfüllt wohliger Schauer im Angesichts des klagenden Pinselstrichs von Frida Kahlo. Sie präsentiert sich gerne in wallender Gewandung und wandelt mehrriemig festgezurrt auf ergonomisch geformten Fußbetten durch die Regalreihen überteuerter Bioläden. Wenn ihre pädagogische Sozialisation zum Nachwuchsprotestler erfolgreich verlaufen ist, trägt die Söhne und Töchtergeneration vornehmlich schwarzes Leder, das Material allen Protestes.
Dazu, bei abnehmender Bedeutung des einstmals noch obligatorischen Palästinensertuchs, den einseitig angebrachten Ohrring, der zeitlos die eigene Subversivität herauszustreichen scheint. Erfreut sich diese Generation abermaligen Nachwuchses, so gilt geschlechtsindifferent ein über die normale Haarlänge rattenschwanzartig hinauswachsendes Zöpfchen als Brandmal des Aufwieglertums. Die Eltern versehen ihren Zögling frühzeitig damit, um einerseits die unvergleichliche Individualität des Kindes öffentlich zu machen, andererseits jedoch, um einer Abweichung von der elterlichen Parteilinie einen Riegel vorzuschieben. Gemeinsam betreiben sie einmal im Jahr sanften Tourismus abseits ausgetretener Touristenpfade, wobei sie sich regelmäßig darüber echauffieren, daß ihr als unentdeckt gewähntes Urlaubsziel haufenweise von gleichgesinnten Aussteigern bevölkert ist. Interfamiliär wird der Konformismus methodisch in symbolischen Handlungen desavouiert, wie zum Beispiel dem Boykott winterlichen Erdbeerkaufs, einem gesteigerten Mülltrennungsbedürfnis oder der standhaften Weigerung, durch den Gebrauch von Ausdrücken wie "Mohrenkopf "oder "Negerkuß" verbale Rassendiskriminiening zu verüben.