Leseprobe -- Peter Scholl-Latour -- Kampf dem Terror - Kampf dem Islam?

Die Fallschirmjäger von Kabul könnten meine Enkel sein, und gerade weil ich über unendlich mehr Kriegserfahrung verfüge als die ehemaligen Pazifisten, die uns heute regieren, blicke ich mit Sorge auf diese sympathischen jungen Leute. Der Kameramann Alexander, der sie auf ihrer abendlichen Patrouille filmte und ungefähr gleich alt ist wie sie, war von der an Naivität grenzenden Freundlichkeit dieser Truppe überrascht, die - in einer Genuß-und Spaßgesellschaft aufgewachsen - sich die extreme Härte und Grausamkeit zentralasiatischer Lebensverhältnisse und Reaktio­nen überhaupt nicht vorstellen kann. »Die Jungs sind viel zu harmlos für ihren Job«, meint Alexander, der in diversen Kontinenten kritische Situationen erlebt hat. Wissen die Berliner Politiker, die - um sich nach den antiamerikanischen Ausfällen ihres Wahl­kampfes nun wieder in Washington anzubiedern - ihre Bereitschaft verkünden, das Kommando von ISAF zu übernehmen, überhaupt, worauf sie sich einlassen? Mit einer zeitlich unbegrenzten Truppenpräsenz am Hindukusch stützt man den proamerikanischen Vasallen Karzai ab und erlaubt den Energiekonzernen der USA einen lukrativen und relativ sicheren Abtransport von Erdgas und Petroleum in Richtung Indischer Ozean. Dafür wird das Leben deut­scher Soldaten aufs Spiel gesetzt im Auftrag einer Parlamentarierriege, die sich früher zu dem törichten Spruch bekannte: »Frieden schaffen ohne Waffen.« Die euphorischen Kommentatoren der Heimatredaktionen und die im Troß eines Ministers flüchtig anreisenden Korrespondenten ignorieren offenbar, wie ein asiatischer Partisanenkrieg aussieht. Die deutschen Soldaten in Kabul müssen vielleicht in Kauf nehmen, daß der eine oder andere von ihnen eines Tages von einer feindlichen Kugel getroffen wird.
Aber im Gegensatz zu den in Übersee-Einsätzen geübten Engländern und Franzosen ahnen sie nicht, was es bedeutet, wenn man einen vermißten Kameraden auffindet, der von wüsten Freischärlern gefoltert und verstümmelt wurde. Das sind keine Schauermärchen, sondern eigene Erfahrun­gen aus Südostasien und Nordafrika. In diesem Zusammenhang sollte das Berliner Kabinett bedenken, daß illusorische »Friedensstiftung« viel gefährlicher und verlustreicher sein kann als eine mit adäquatem Material und massiver Luftunterstützung, vorgetragene Offensive. Ähnliche Perspektiven wie für Kabul, so wird in den Stäben der Bundeswehr gemunkelt, würden von der deutschen Regierung ja auch schon im Hinblick auf den Irak erwogen, wo nach Zerschlagung des Saddam Hussein-Regimes europäische Hilfstruppen dann die Aufgabe des »nation building«, das heißt einer dauerhaften und extrem riskanten Okkupation Bagdads übernehmen sollen. Daß deutsche Minister, die unlängst noch gegen den amerikanischen Unilateralismus wetterten, um die Bundestagswahl zu gewinnen, sich neuerdings mit der Idee einer »globalen Einsatztruppe« der NATO anzufreunden scheinen - Peter Struck sprach von einem »interessanten Vorschlag« -, läuft auf eine Degradierung der Bundeswehr hinaus. Diese »Rapid Deployment Force« würde nämlich unter NATO-, das heißt unter US-Commando stehen und beliebig »out of area« eingesetzt, wo es dem übermächtigen Verbündeten gerade zweckmäßig erschiene. Man spräche von »Friedensstiftung«; in Wirklichkeit würde es sich um die Drecksarbeit der sogenannten »Pazifizierung«, um die Unterdrückung von Aufständischen handeln.