Leseprobe -- Steven Lewis -- Zen und die Kunst der Vaterschaft

Rückblickend hätte ich stutzig werden müssen, als ich das einzige Hotel in der Region mit freien Zimmern ausfindig machte. Aber ein paar Stunden später befanden wir uns auf der exotischen Insel Cozumel, das Hotelfoyer sah gar nicht so übel aus, und die außergewöhnlich blaue Karibik war noch schoner als in Cancun. Zwar empfing uns beim Betreten der Halle ein etwas beunruhigender Geruch, auch rochen die Zimmer etwas schimmelig, doch alles würde bestimmt ganz prima werden. Das war das echte Mexiko, nicht irgendeine Hochglanzversion fremder Länder. Hier konnten die Kinder tatsächlich eine andere Kultur aus nächster Nähe erleben.

Das taten sie denn auch. Nachmittags schnorchelten wir. Wir sprachen zögerlich spanisch mit den Einheimischen, aßen echtes mexikanisches Essen (wir achteten sehr darauf, kein Wasser zu trinken, aßen auch kein frisches Obst und Gemüse) und gingen auf dem wunderschönen Platz in San Miguel spazieren. Als wir zu Bett gingen, erfüllte uns der Geist Mittelamerikas. Als erste verlor Clover, die das Bett mit Patti, Danny und mir teilte, den Geist. Ich möchte den Bericht hier auf hohem literarischen Niveau fortsetzen. Deshalb will ich nur sagen, daß es ein paar Schritte vor Erreichen des Bades geschah.

Augenblicke später überfiel sie ein beinahe unbeherrschbarer Drang, den Geist von einer anderen, tieferen und dunkleren Seite ihres Daseins zu verlieren. Während ich der armen Clover im Badezimmer half und Patti sich um den verlorenen Geist auf dem Teppich kümmerte, verlor auch Patti plötzlich ihren Geist. Eine Minute später verlor ich meinen. Kurze Zeit später verlor Clover den ihren noch einmal — diesmal im Bett. Dann Patti. Dann ich. Grade als wir dachten, daß das große Geisterfestival vorüber sei, begann Montezuma sein Grummeln tief im Schlund der Eltern. Zuerst rannte ich, dann Patti zum Porzellanaltar, so als hätte sie soeben den Maya Teufel erblickt.

Unterdessen schlummerte der fünfjährige Danny, den wir wegen seiner Abscheu vor den Hilfsmitteln der gängigen Körperhygiene liebevoll "Dirty Dan“ nannten, so ruhig und ungestört, als läge er am Busen der Götter. Inzwischen war ich praktisch ohne Geist. Trotzdem brachte ich genug Kraft auf, rasch ein paar Sachen überzuziehen, und begab mich ins Nachbarzimmer um nachzusehen, wie es Cael, Nancy und Addie ergangen war. Als ich die Tür öffnete, machte Addie einen prima Eindruck, aber Cael war bereits hellgrün im Gesicht und lag stöhnend auf seinem Bett.
Abwechselnd drohte und bat er Nancy, sie möge endlich aus dem Bad herauskommen, wo sie offenbar seit einer Viertelstunde über den Verlust ihres Geistes meditierte. Doch erst jetzt wurde das Ganze, wie ich anfügen muß, wirklich unangenehm. Denn ohne vorherige Benachrichtigung und ohne Erklärung — No hablo ingles, Senor — drehte die Hotelleitung plötzlich das Wasser im Hotel ab! Weit geöffnete Wasserhähne die kein Wasser spendeten; Toiletten, die man nicht spülen konnte; das wunderbar gewandelte Aroma des irdischen Geistes wehte durch die Luft.

Ich möchte hier nicht im einzelnen erzählen, wie uns die Handtücher ausgingen und wir die Bettlaken und die Hemden vom Vortag benutzten, um hinter uns sauberzumachen. Der ultimative transzendente Augenblick kam aber einige Minuten später, als Addie die Tür zu unserem Zimmer aufschob, einen Blick auf das Chaos warf, leise murmelte: “Es geht mir nicht so gut" und den Göttern eine Gabe darbot, die überall auf den Vorhängen landete.

Und Danny schlief weiter.

Schließlich gelang es mir, mich zu einer Bodegas zu schleppen. Dort kaufte ich sechs Flaschen eines rosafarbenen Zeugs, kippte den Inhalt der einen Flasche wie ein kühles Bier und kehrte zurück um meinen entgeisterten Familienangehörigen den Nektar zu verabreichen. Am Nachmittag nachdem das Wasser wieder angeschaltet worden war, es uns allen halbwegs gutging und wir am tollen weißen Sandstrand saßen, sahen wir Danny, wie er allein in der Brandung umhertollte.

Wie sich herausstellte — alle Heimwerkerväter haben das ganz bestimmt schon erkannt —‚ hatte es ein Problem mit dem Abwasser gegeben, das in das hoteleigene Versorgungssystem eingedrungen war. Am Ende spielte es keine Rolle, daß keiner aus der Familie das Wasser getrunken hatte. Und niemand rohes Obst oder Gemüse gegessen hatte. Die ganze Familie hatte sich strikt an die Weisungen gehalten, auch hatte keiner Eis zu den Getränken bestellt. Aber alle hatten sich die Zähne geputzt.

Alle erkrankten, bis auf den fünfjährigen Dirty Danny, der in jener Zeit alles tat, um nicht zu baden oder sich die Zähne zu putzen. Er hatte den ganzen Nachmittag am Korallenriff gespielt und am Abend noch ein opulentes Abendessen zu sich genommen. So hatte er in Mexiko den idealen Ort gefunden, an dem er seinen Geist — und seinen Verstand — durch die Verweigerungshaltung gegenüber kulturellen Gepflogenheiten behalten hatte.