Leseprobe -- Konrad Lorenz -- Die acht Todsünden

Genau dasselbe gilt für die Zeit: »Time is money« besagt für jeden, der das Geld für einen absoluten Wert hält, daß für jede Sekunde ersparter Zeit gleiches gelte. Wenn man ein Flugzeug bauen kann, das den Atlantik in einer etwas kürzeren Zeit überfliegen wird als alle bisherigen, so fragt kein Mensch, um welchen Preis der nun nötigen Verlängerung der Landungsbahn, der vergrößerten Lande und Abflugsgeschwindigkeit und der damit erhöhten Gefahr, dem größeren Lärm usw. dies erkauft werde. Der Gewinn von einer halben Stunde ist in den Augen aller ein Wert an sich, den zu erringen kein Opfer zu groß sein kann. Jede Automobilfabrik muß dafür sorgen, daß die neue Type ein wenig schneller ist als die vorhergehende, jede Straße muß verbreitert, jede Kurve ausgebaut werden, vorgeblich um der größeren Sicherheit willen, in Wirklichkeit aber nur, damit man noch ein bißchen schneller — und damit gefährlicher — fahren könne. Man muß sich fragen, was der heutigen Menschheit größeren Schaden an ihrer Seele zufügt: die verblendende Geldgier oder die zermürbende Hast.
Welches von beiden es auch sei, es liegt im Sinne der Machthabenden aller politischen Richtungen, beides zu fördern und jene Motivationen bis zur Hypertrophie zu steigern, die den Menschen zum Wettbewerb antreiben. Meines Wissens liegt noch keine tiefenpsychologische Analyse dieser Motivationen vor, ich halte es aber für sehr wahrscheinlich, daß neben der Gier nach Besitz oder nach höherer Rangordnungs-Stellung, oder nach beidem, auch die Angst eine sehr wesentliche Rolle spielt, Angst, im Wettlauf überholt zu werden, Angst vor Verarmung, Angst, falsche Entscheidungen zu treffen und der ganzen aufreibenden Situation nicht oder nicht mehr gewachsen zu sein. Angst in jeglicher Form ist ganz sicher der wesentlichste Faktor, der die Gesundheit moderner Menschen untergräbt und ihnen arteriellen Hochdruck, genuine Schrumpfniere, frühen Herzinfarkt und ähnliche schöne Dinge zufügt. Der hastende Mensch ist sicher nicht nur von Gier gelockt, die stärksten Lockungen würden ihn nicht zu so energischer Selbstbeschädigung veranlassen können, er ist getrieben, und was ihn treibt, kann nur Angst sein.