Leseprobe -- Christoph Rueger -- Franz Liszt

So hat Liszt den Schlachtruf Victor Hugos »Nieder mit dem Alexandriner!« von Paris nach Weimar getragen, und von dort wird er in alle Welt gehen. Und wie einst, so galt auch hier das Charakteristische als der höchste Triumpf. »Je dämonischer gespielt wurde, um so zufriedener war er«, erinnerte sich der Schüler und Sekretär Stradal. Was Liszt nicht vertragen konnte, war, wenn jemand unvorbereitet zum Unterricht kam. Dann sagte er wohl, man solle seine Schmutzwäsche zu Hause reinigen. »Starke Techniker, die daneben musikalisch unbedeutend sind (wie das beim Klavier ja leider möglich ist —CR), werden von ihm geradezu malträtiert und auf ein Konservatorium... verwiesen«, versicherte Stavenhagen. Überhaupt war für ihn (wohl in bitterer Erinnerung an seine einstige Ablehnung durch Cherubini) ein Konservatorium so etwas wie eine Besserungsanstalt für Unfähige, speziell »drohte« er gern mit dem Leipziger... »So spielt man nur in Leipzig, da erklärt man Ihnen, daß es eine iibermäßige Sexte ist, und bildet sich ein, das genüge; aber wie sie zu spielen ist, wird man Ihnen nie ordentlich zeigen!« Oder zu einer farblos gespielten Chopin Etüde: »In Leipzig würde man dies sehr lieb finden!« Aber ohne Technik lief auch bei Liszt nichts, und er konnte zuweilen streng sein. Amy Fay, die als eine seiner Lieblingsschülerinnen zu glauben schien, sich Freiheiten herausnehmen zu dürfen, wollte keine Terzenläufe üben. Liszt soll sie vier Tage lang bei Brei und Milch in ein Übzimmer eingesperrt haben. Als danach die Doppelläufe nur so perlten, erhielt Amy von seiner Hand das folgende Diplom: »Fräulein Fay hat durch die Kraft des Hirsebreis und durch die Stärkung gewöhnlicher Kuhmilch eine außergewöhnliche Meisterschaft im Klavierspiel erreicht. Sie ist in der Lage, Terzen...gänge in hervorragender Weise auszuführen. Dies bescheinigt Franz Liszt zu Weimar.«
Sein Unterricht hatte Wärme und Esprit. Ließ er Balakirews hochvirtuose »Orientalische Fantasie "Islamej" von seiner russischen Meisterschülerin Vera Timanowa spielen, forderte er sie auf: »Nun lösen Sie, bitte, die orientalische Frage (die damals politisch in der Luft lag — CR) auf Ihre Art! Die Timanowa hatte sehr kleine Hände und arbeitete deshalb mit bestimmten Tricks. Wenn Liszt merkte, daß andere ähnliche Schwierigkeiten hatten, sagte er bisweilen: »Versuchen Sie einmal, es a la Vera zu spielen!« Und wenn jemand meinte, er könne dies oder das nicht spielen, nötigte ihn Liszt dennoch an den Flügel und bat: »Nun zeigen Sie uns, wie Sie das nicht können. Nach diesen Mitteilungen über den Klavierpädagogen Liszt, die wir Alexander Borodin verdanken, sind besonders informativ die Erinnerungen Carl Lachmunds. Erstaunlicherweise war der pathetischste aller Virtuosen empfindlich gegenüber jeder Form von Ubertreibung. »Albertus magnus«, wie er d‘Albert wegen seiner großen Begabung nannte, spielte ihm manchmal zu heftig. Ihm riet er, in einen Mäßigkeitsverein einzutreten. Als eine Schülerin ein Chopin-Nocturne zu sentimental spielte, setzte er sich selbst an das Instrument und ahmte sie nach, nahm die Miene »unsäglicher Traurigkeit an« und wiegte seinen Kopf »rührselig hin und her..., als schwände sein Herz dahin in übergroßem Liebesschmerz. Wir lachten Tränen, und auch die junge... Dame... stimmte in das Lachen mit ein. Wir alle aber hatten daraus wieder etwas gelernt.« Kritische Bemerkungen verband er gewöhnlich mit freundlichem Humor. Eine Schülerin vergewisserte sich bei Sprüngen immer erst, oh sie richtig treffe — »als ob Sie erst nach der richtigen Hausnummer ausschauen wollten«, tadelte Liszt. Wenn Läufe und Arpeggien nicht exakt waren: »Spielen Sie das zu Hause, dort wird es fiir Ihre Tanten und Cousinen genügen.« Und wenn es zu arg war: »Das riecht zu sehr nach Unschuld. Aber diese Unschuld grenzt schon beinahe an Dummheit.« Nur selten geriet er außer sich: »Wegen dieses Fehlers verdienten Sie Prügel!«