Leseprobe -- Peter Sichrovsky -- Der Antifa-Komplex

Die Linke gab dem Antifundamentalismus keine Chance. Sie hatte Wichtigeres zu tun. Jeder lächerliche rechte Rülpser eines Jugendlichen, der nach ein paar Flaschen Bier »Heil Hitler« rief, war den Antifaschisten eine größere Bedrohung als die fundamentalistischen Diktaturen im Iran, in Afghanistan und im Sudan. Wie der von ihnen ständig kritisierte Kleinbürger, dessen Blick bis zum Ende des eigenen Gartens reicht, sahen die modernen Antifaschisten nur eine Gefahr für ihr eigenes Land. Dieses kleinbürgerliche, spießige Verhalten der Antifaschisten wiederholte sich Jahr für Jahr. Genau wie jene Menschen, die sie wegen ihrer unbegründeten Ängste gegenüber Fremden verurteilen, reagieren sie hysterisch auf eine angebliche faschistoide Bedrohung und sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht. Diktatoren wie Saddam Hussein, Libyens Gadaffi, die Herrscher in Afghanistan und im Iran, die politischen Führer in China und Vietnam, die zahlreichen afrikanischen Diktaturen sind den Kämpfern um Frieden und Demokratie, die so wachsam auf jeden Ausbruch von Neonazismus reagieren, relativ gleichgültig.
Der Antirassismus wurde zu einer Bewegung linker Kleinbürger und zu einer Gleichgültigkeit bei Nichtbetroffensein. Je weiter weg der Konfliktherd war, desto weniger kümmerte er sie. Wie nahe allerdings die Grenze der Gleichgültigkeit rückt, zeigte der Konflikt in Jugoslawien, wo ein Völkermord mit einer neuen Form der Unempfindlichkeit übergangen wurde. Alle Vorwürfe an die Bevölkerung, die während der Nazizeit den Verfolgten nicht geholfen hatte, müssen als scheinheilig und verlogen gelten, berücksichtigt man die Teilnahmslosigkeit der Antifaschisten während der Jugoslawienkrise. Es ist einfach, jede kritische Bemerkung über Ausländerzustrom, Einwanderungsgesetze, Aufenthaltserlasse sofort als einen Beweis für faschistoides Denken zu verurteilen, während blutige Diktaturen in nahen und fernen Ländern kaum beachtet werden. Genau dieses Verhalten in den Ländern außerhalb Deutschlands war es, das den Holocaust erst möglich machte. Ignoranz, Gleichgültigkeit und Überbewertung der Ereignisse im eigenen Land schufen in den vierziger Jahren eine Situation, die den von den Deutschen geplanten und organisierten Massenmord an den Juden nicht verhinderte.