Buchkritik -- Felipe Fernandez-Armesto -- Wahrheit

Umschlagfoto  -- Felipe Fernandez-Armesto  --  Wahrheit Ohne das Suchen nach der Wahrheit wäre die bewußte menschliche Existenz undenkbar. Ohne dieses Bestreben gäbe es keine Philosophie und keine Kunst, keine Religionen und keinen Glauben. Doch was ist das, die Wahrheit? Wo ist sie und wer kann sie finden? Sind die sichtbaren Dinge schon die ganze Wahrheit für alle Menschen oder steckt hinter all dem eine verborgene Wahrheit, die sich nur wenigen erschließt? Unzählige Kriege wurden und werden in ihrem Namen geführt. Fanatiker in Religion und Politik mißbrauchen sie für ihre eigenen Zwecke. Der Schritt vom Gläubigen zum Fanatiker ist nur sehr klein.

Felipe Fernandez-Armesto versucht in seinem Buch Wahrheit diesen Dingen, bzw. der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Er stellt mitnichten eine neue Philosophie der Wahrheit auf, sondern er versucht zu zeigen, wie sich die Suche und das Erkennen von Wahrheit in der Geschichte manifestiert hat. Er berücksichtigt dabei im wesentlichen die Aspekte der westlichen Philosophiegeschichte, legt aber auch die wesentlichen Standpunkte der östlichen Denkungsart dar. Ebenfalls, und das ist so ungewöhnlich wie notwendig, zeigt er die Manifestationen von Wahrheitssuche bei den noch existierenden Naturvölkern.

Der Leser begibt sich mit Fernandez-Armesto auf eine spannende Reise in die Geschichte der Suche nach Wahrheit. Er unterscheidet, nicht unbegründet, vier verschiedene Arten von Wahrheitssuche. Wahrheit, die gefühlt wird, Wahrheit, die überliefert wird, die Wahrheit der Vernunft und zum Schluß die der Sinne. Nicht immer ist es möglich, diese Bereiche strikt voneinander zu trennen, denn die Wahrheit, welche gefühlt werden kann, ist auch diejenige, die man mit den Sinnen spürt. Die Wahrheit, welche, egal ob mündlich oder schriftlich überliefert wird, ist auch immer nicht wenig eine Wahrheit der Vernunft.

Trotz der Trennungen des Autors liegt immer eine Mischung von allen Arten vor. Doch diese Einteilung ist nicht die zentrale Aussage des Buches, sondern dient im wesentlichen nur als Hinweis, auf wie viele verschiedene Arten sich die Menschen der Wahrheit nähern können. Fernandez-Armesto ist der festen Überzeugung, daß es eine Wahrheit gibt, die sich in den Dingen manifestiert. Deshalb gilt seine besondere Aufmerksamkeit denjenigen Philosophen, welche die Existenz der Wahrheit leugnen, oder behaupten, daß es nur eine jeweils individuelle Wahrheit gibt.

Damit berührt er auch schon die eigentliche Krise der Moderne. Ausgehend von Kant und der Aufklärung mit all ihren wahrheitszerstörenden Philosophien, schlägt er einen großen Bogen bis hin zur Postmoderne, welche die Suche nach der Wahrheit vollkommen aufgegeben hat und das Individuum seinem eigenen, einsamen Schicksal gegenüber stellte. Für Fernandez-Armesto sind die Philosophien des Relativismus, des Dekonstruktivismus und des Existenzialismus nichts anderes als Rattenfänger, welche die Wahrheit zerstören wollten, um dem menschlichen Intellekt eine falsch verstandene Freiheit zu geben. Das Ergebnis sehen wir in unserer Zeit. Alles ist beliebig geworden, falsche Toleranz kommt unter dem Mantel der Gleichwertigkeit der Ideen daher.

Neben seinen im Kern zutreffenden Ausführungen über die Geschichte der Wahrheit ist Fernandez-Armesto ein Rufer in der Wüste. Für ihn gibt es eine sinnlich erfahrbare Wahrheit, die mit Hilfe der Sprache ausgedrückt werden kann. Aus diesem Grund warnt er den Leser eindringlich davor, diesen Beliebigkeitsphilosophien Folge zu leisten. Er begeht nicht den Fehler zu behaupten, er wisse was Wahrheit sei. Sein Bemühen gilt dem immerwährenden Kampf darum, sie zu finden. Vernunft und Sprache, Kommunikation im weitesten Sinn, tragen dazu bei, daß wir der Wahrheit auf der Spur bleiben. Erreichen wird sie sich wohl niemals lassen. Das ist wahrscheinlich auch gut so, denn die Geschichte hat gezeigt, wie schnell aus der Wahrheit eine Lüge wird. Ebenso wie der Mensch, entwickelt sich auch die Wahrheit immer weiter. Nur ist sie uns immer einen Schritt voraus.




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