Buchkritik -- Werner Bartens -- Was hab ich bloß?

Umschlagfoto  -- Werner Bartens --  Was hab ich bloß? "Wer gesund ist, der wurde nur noch nicht richtig untersucht". Dieser Ausspruch ist das Leitthema für Werner Bartens in seinem Buch Was hab ich bloß? Er stellt sich die Frage, ob wir immer kränker werden. Die Zunahme von chronischen Leiden und Umweltkrankheiten scheint dafür zu sprechen. Doch stimmt das wirklich, oder hat sich nur der Charakter der Krankheit und der des modernen Menschen selber gewandelt?

Auch Krankheitsbilder sind dem Lauf der Zeit und damit auch gewissen Tendenzen unterworfen. Es treten, gerade in unseren Tagen, viele neue Krankheitsbilder auf den Plan und im Gegensatz dazu verschwinden einige völlig, um bestenfalls eine Weile später unter neuem Namen zurückzukehren. Bartens beschreibt launig und humorvoll aktuelle Modekrankheiten wie z. B. RLS (Restless-Legs-Syndrom) oder CFS (Chronic Fatigue Syndrome), die sich allesamt durch eine medizinische Diagnoseresistenz auszeichnen und hauptsächlich nur den sie davon Betroffenen eine gewisse zeitlich begrenzte Aufmerksamkeit ihrer Umgebung sichern.

Auf der anderen Seite beschreibt der Autor aber auch den Mißbrauch "erfundener" Krankheiten, wie z. B. KiSS (Kopfgelenk-induzierte-Symmetrie-Störungen), deren Existenz von erfahrenen Kinderneurologen bestritten wird. Auch das geradezu explodierende Auftreten von HKS (Hyperkinetischen Syndrom) und ADS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom) wird thematisiert. Hier empört sich Bartens zu Recht darüber, daß abertausende von Kindern mit ruhigstellenden Medikamenten wie Ritalin und Medikinet behandelt, bzw. betäubt werden, denen in dem meisten Fällen mit familiärer Zuwendung und Liebe geholfen wäre. Bei näherer Untersuchung würde sich in den meisten Fällen die familiäre Situation als Auslöser für diese Probleme erweisen. Doch ist für die Eltern immer einfacher, die Kinder in eine medikamentenbegleitete Therapie zu stecken, als das eigene Umfeld zu ändern.

Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Der Autor macht sich nicht über kranke Menschen und deren Leiden lustig. Als ausgebildeter Arzt kennt er die subjektiven Befindlichkeiten der Menschen und nimmt sie ernst. Wer Schmerzen oder Unwohlsein erfährt, dem muß geholfen werden. Doch allzuoft erweist es sich als Problem die richtige Diagnose zu stellen, weil das Krankheitsbild einfach zu diffus ist. Das Paradebeispiel dafür ist die Zivilisationskrankheit Rückenschmerzen. Jeder hat sie, aber in den wenigsten Fällen kann ergründet werden woran sie wirklich liegen. Die Arztpraxen sind voll von Menschen mit Rückenschmerzen, die nur dazu bereit sein müßten, ihr Leben etwas zu ändern, wie z. B. mehr Bewegung, mehr Freude und das lösen von privaten Problemen. Wie Werner Bartens zu Recht behauptet, sind viele eingebildete, aber auch viele reale Befindlichkeiten auf eigene Probleme zurückzuführen. Die Therapeuten von Modekrankheiten leben von dieser Tatsachen sehr gut und haben natürlich keine Interesse daran, ihren Patienten die Wahrheit zu sagen.

Nochmal, Bartens nimmt den kranken Menschen ernst, ohne Frage. Sein eigentliches Ziel sind die eingebildeten Kranken, sind diejenigen, die ihr subjektives Befinden als ihren eigentlichen Lebenszweck definieren. In jedem Leben gibt es gesundheitliche Hoch- und Tiefpunkte. Mal fühlt man sich schlechter, mal besser. Der Mensch wird krank und muß behandelt werden. Das ist so normal, wie das Leben selber. Was nicht normal ist, ist die permanente Introspektion des Einzelnen. Je mehr man sich selber beobachtet, desto kranker fühlt man sich. Das wußten schon die Großeltern.

Wer den Versprechungen der Werbung auf den Leim geht, die immer von gesunden, glücklichen und braumgebrannten Menschen handelt, hat schon verloren. Wer nicht akzeptieren kann, daß Leben auch Krankheit beinhaltet, hat ebenfalls verloren und dient auf das Beste dazu, selbsternannten Therapeuten die Taschen zu füllen. Das ist das Fazit des Buches von Werner Bartens. Es ist zudem noch witzig, aber auch mit dem notwendigen Ernst geschrieben. Seine "Beipackzettel" und seine Bemerkungen über "Artgerechtes Verhalten" sind treffend und urkomisch. Für mich hat das Buch schon jetzt Kultcharakter.




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