Buchkritik -- Ehrhardt Bödecker -- Preußen und die Wurzeln des Erfolgs

Umschlagfoto  -- Ehrhardt Bödecker  --  Preußen und die Wurzeln des Erfolgs Geschichtsforschung speist sich aus zwei wesentlichen Quellen: Faktenorientierung und wissenschaftliche Objektivität. Beide sind die Voraussetzung für eine annähernd wertfreie Schilderung von historischen Begebenheiten, Abläufen und Ereignissen. Die deutsche Geschichte ist in besonderem Maß von Verfälschungen, ideologischen Vorurteilen und Unwahrheiten betroffen. Im Vordergrund stehen die verhängnisvollen zwölf Jahre des Nationalsozialismus. Nahezu die gesamte Geschichte vor und nach den Jahren von 1933 - 1945 wird im Hinblick auf diesen Zeitraum gewertet. Preußen wurde und wird in diesem Kontext mit nahezu allen negativen Attributen der Geschichtsschreibung belegt. Es ist mehr als einmal die Rede von Militarismus, von Obrigkeitsstaatlichkeit und der autoritären Verformung des preußischen Volkes. Die, angeblichen, Wurzeln des deutschen Nationalsozialismus sollen eben genau hier liegen. Eine Vulgärpsychologie, eng verbunden mit einer hochgradigen historischen Ideologisierung versucht aus o.e. Eigenschaften den sog. Volkscharakter der Deutschen zu extrahieren und für nahezu sämtliche Verbrechen des 19. und 20. Jahrhunderts verantwortlich zu machen.

Abgesehen von der Unwissenschaftlichkeit eines Begriffs wie "Volkscharakter", ist die dahinter stehende politische Zielrichtung klar. Preußen-Deutschland wurde zu einer aggressiven und kriegslüsternen Nation erklärt, auf deren Konto sowohl der erste, als auch der zweite Weltkrieg ging. Die politische, wirtschaftliche und militärische Ausrichtung Preußen-Deutschlands war und ist nur in dieser Beziehung zu verstehen. Diese historische Auffassung fand Einzug in die Geschichtsbücher und damit in die Köpfe von vielen Generationen. Diese Perpetuierung verhinderte lange Zeit eine objektive Betrachtung dessen, was Preußen-Deutschland während der Kaiserzeit ausmachte. Führend in Wissenschaft und Bildung, wirtschaftlich erfolgreich und weitaus weniger militant als alle seine europäischen Nachbarn.

Ehrhardt Bödecker schildert in seinem überaus lesenswerten Buch Preußen und die Wurzeln des Erfolgs diese, bislang in der offiziellen Forschung nur wenig zu Kenntnis genommenen Fakten. Es gelingt ihm ein abgerundetes Bild dessen zu vermitteln, was allgemein und hier leider auch oft missbraucht, unter dem Begriff Preußen verstanden wird. Die Zeit des Kaiserreichs war im Gegensatz zur landläufigen Meinung keinesfalls Obrigkeitshörig, sondern, jedenfalls im Vergleich zu den Nachbarstaaten von einer bestechenden demokratischen Durchlässigkeit von unten nach oben. Seine Verwaltung war gut organisiert und effektiv. Das Bildungsniveau seiner Beamten war sehr hoch. Das Bildungssystem weit verzweigt und für alle erreichbar. Preußen-Deutschland hatte eine junge Bevölkerung, die die ihnen gebotenen Chancen erfolgreich zu nutzen wußte. Die Wirtschaft war eng verbunden mit den wissenschaftlichen Erfolgen und dem daraus resultierenden technischen Fortschritt. Für Bödecker ein Hinweis darauf, daß die Fiktion des autoritätsabhängigen Bürgers einen politisch-ideologisches Hintergrund hat und nicht der damaligen Realität entspricht.

Die Sozialgesetze unter Bismark waren einmalig in der damaligen Welt. Preußen war außerdem das erste Land, welches das allgemeine Wahlrecht, auch für Frauen, einführte. Die medizinische Versorgung der Bevölkerung fand sogar in den USA Bewunderer und Nachahmer. Die anerkannte Wissenschaftssprache war Deutsch. Zahlreiche ausländische Studenten exportierten den hohen deutschen Wissensstand in alle Welt. Militärische Großmachtgelüste und territoriale Expansion? Preußen-Deutschland hatte, bis auf Gebiete in Südwestafrika, im Gegensatz zu England, Frankreich, Holland und Portugal, keine Territorien in Übersee und mußte dementsprechend auch nicht mit Gewalt gegen die einheimische Bevölkerung vorgehen wie z. B. England im Burenkrieg mit der Internierung von Frauen und Kindern in Konzentrationslagern, in denen vollkommen unzulängliche Lebensbedingungen zu einer hohen Todesrate führten.

Ehrhardt Bödecker zeigt eindrucksvoll das andere, eigentliche Gesicht Preußens. Er beschreibt die Gründe des wirtschaftlichen, sozialen und militärischen Fortschritts. Auf vielen Gebieten war es Vorreiter und exportierte sein Wissen in die ganze Welt. Es war weit davon entfernt dem Klischee des Obrigkeitsstaates zu entsprechen, als das es in der Geschichte dargestellt wird. Es ist das große Verdient des Autors auf diese "andere", wirkliche historische Realität dieser Phase der deutschen Geschichte aufmerksam zu machen. Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben. Deutschland mußte dieses Diktat zweimal über sich ergehen lassen. 1919 im Vertrag von Versailles, der Preußen-Deutschland die Alleinschuld am 1. Weltkrieg gab und aufgrund dessen unmöglich zu erfüllende Reparationsforderungen aufstellte, die letztlich den Kern zu einem neuen Waffengang in sich trugen. In der Zeit von 1945-49 schrieben die Nürnberger Prozesse wiederum die deutsche Geschichte um, indem sie den angeblich aggressiven Volkscharakter der Deutschen historisch festschrieben. Es ist das große Verdient des Autors auf diese "andere", wirkliche historische Realität dieser Phase der preußisch-deutschen Geschichte aufmerksam zu machen.




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