Buchkritik -- Bernhard Bueb -- Lob der Disziplin

Umschlagfoto  --  Bernhard Bueb  --  Lob der Disziplin Aktuell kann man ein erstaunliches Phänomen beobachten. Kaum ein Medium, kaum ein Politiker und die Allgemeinheit schon gar nicht, ist frei von Diskussionen über die richtige Erziehung. Nachdem sich jetzt auch schon die Lehrer trauen, offen über ihre Probleme, nicht nur mit Migrantenkindern, zu sprechen, scheint es, als ob ein Damm gebrochen wäre, der jetzt zuläßt, was seit Jahren mehr oder weniger offiziell unter den Tisch gekehrt worden ist.

Die Rede ist von den Eigenschaften, die Erziehung erst ermöglichen. Bernhard Bueb hat in diesem Sinn ein, für heutige Verhältnisse, provozierendes Buch vorgelegt. Dreißig Jahre leitet er die Internatsschule Schloss Salem. Ein Mann also, ein Pädagoge, der weiß, wovon er spricht.

Sein Fazit aus dieser langjährigen Erfahrung besteht aus der, auch im Schulalltag zu praktizierenden, Einforderung von Disziplin und Ordnung. Ohne diese beiden Primärtugenden ist kein vernünftiges pädagogisches Handeln möglich. Zahlreiche Beispiele, auch Beispiele des Scheiterns, belegen seine Aussagen.

Das Buch Lob der Disziplin ist eine schallende Ohrfeige für alle Erziehungstheoretiker, die seit den unseligen 68`er Jahren die Meinung vertraten, daß es pädagogisch notwendig sei, die Ursachen des Faschismus mit Hilfe einen anderen Pädagogik zu überwinden. Fortan war von Disziplin und Regelsetzung nicht mehr die Rede. Statt dessen übte man mit ganzen Generationen von Schülern die Selbstverwirklichung und die Entfaltung der freien Persönlichkeit. Ohne Zweifel ist beides wichtig für die Entwicklung des Individuums, doch es stellt sich leider zur Zeit heraus, daß man es damit etwas übertrieben hat. Die Sachkenntnis der Schüler läßt zu wünschen übrig, was übrigens viele kleine Firmen davon abhält Auszubildende einzustellen. Das Sozialverhalten tendiert gegen Null und zu Recht plädiert Bueb für mehr Verantwortung der Familien. Doch auch die sind durch jahrzehntelange politische Fehlentwicklungen geschwächt und können in vielen Fällen ihre eigenen Kinder nicht mehr richtig erziehen.

Bemerkenswert und damit absolut gegen die herrschende Meinung, sind die Überlegungen Buebs zum Thema Freiheit. Sehr richtig stellt er fest, das die persönliche Freiheit eines Individuums nicht bereits über seiner Wiege schwebt, sondern sie muß erst, manchmal auch gegen große Widerstände erkämpft werden. Wiederholt stellt er einen Zusammenhang zwischen erlernter Disziplin und persönlicher Freiheit her. Beides bedingt sich gegenseitig. Disziplin allein führt zu Stumpfsinn und Kadavergehorsam. Freiheit allein zu Egoismus und Verantwortungslosigkeit. Erst beide zusammen ergeben das Menschenbild, welches dem Autor vorschwebt. Die Wurzeln aller Erziehung liegen in der Familie. Soweit hat er Recht. Warum Bueb dann aber die Gemeinschaftserziehung propagiert, bleibt leider sein Geheimnis.

Wer Goethes Erziehungsromane kennt, dem wird eine große Ähnlichkeit mit den Ansichten Buebs auffallen. Er möchte, auch wenn es nirgendwo explizit zu lesen ist, eine "Pädagogische Provinz", in der die Erzieher, die Lehrer vollkommen anders sind, als diejenigen, welche bei uns seit Jahren die Universitäten verlassen haben. Er will keine Fachdidakten, sondern sein Ideal ist der "liebende" Begleiter, der sich jedoch auch nicht scheut, wenn es notwendig ist, von Zeit zu Zeit Härten im Umgang mit seinen Schützlingen an den Tag zu legen. Durch sein Leben und seine Handlungen ist er ein Vorbild für die ihm anvertrauten Kinder und Jugendlichen und kann sie nach seinem Bild und den jeweiligen individuellen Möglichkeiten formen. Dem Autor schwebt eine Elite vor, die so gar nichts gemeinsam hat mit der aktuell selbsternannten "Mein Wagen, mein Haus, meine Frau - Elite". Sein Ziel ist das freie, sich in seinen eigenen Grenzen, die durchaus sehr weit gesteckt sein können, wiederfindende Individuum.

So weit die Theorie. Man muß nicht allen Überlegungen Buebs zustimmen, doch sein Buch zeichnet sich durch eine große Ehrlichkeit aus. Die Kompetenz des Autors ist unbestritten und sein Anliegen dringend. Die Lektüre ist für alle diejenigen, die sich mit Erziehung beschäftigen ein großer Gewinn.

Damit sind nicht nur Lehrer gemeint!




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