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Buchkritik -- Gary Stevenson -- Das Milliardenspiel

Umschlagfoto, Buchkritik, Gary Stevenson, Das Milliardenspiel, InKulturA Vom Tellerwäscher zum Millionär? Nicht ganz, sondern die Geschichte von einem, der eine Kindheit inmitten von Gewalt, Armut und eklatanter Ungerechtigkeit erlebt, alles in Sichtweite der Türme von Canary Wharf, dem neuen Finanzherzen Londons. Nichtsdestoweniger gelingt es Gary Stevenson, der über außergewöhnliche mathematische Fähigkeiten verfügt, an der London School of Economics, die Kaderschmiede der Hochfinanz, angenommen zu werden, wo er schnell herausfindet, dass „viele reiche Leute von den armen Leuten erwarten, dass sie dumm sind“.

Stevenson gewinnt einen internen Wettbewerb gegen seine aus gut situierten Kreisen stammenden Kommilitonen und erhält ein Praktikum und anschließend einen Job bei der Citibank. Sein erster Bonus kommt Anfang 2009, wenige Monate nachdem der Zusammenbruch von Lehman Brothers die Weltwirtschaft beinahe zerstört hätte. Es sind 13.000 Pfund, weit mehr als die Hälfte dessen, was sein Vater in einem Jahr als Postangestellter verdient.

Bereits im nächsten Jahr beläuft sich Stevensons Bonus auf fast 400.000 Pfund, und von da an geht es finanziell steil bergauf. Es folgen Prämien in Höhe von mehreren Millionen Pfund und es wird zum einzigen Schwerpunkt seines Lebens, der profitabelste Trader der Welt zu sein.

Wer mit Händlern und Investmentbankern spricht, so Stevenson, wird viele ähnliche Geschichte hören: Finanzen seien kein Job, heißt es, sondern ein Lebensstil, der einen verzehre. Sie leiden dauerhaft unter Schlafmangel, während Sie viele Stunden unter enormem Druck arbeiten und keine Arbeitsplatzsicherheit haben. Für Freunde und Familie körperlich und geistig so gut wie unzugänglich und mit jedem Monsterbonus wird die Kluft zwischen den anderen und ihnen größer. Investmentbanken sind nicht als Sekten oder Sekten konzipiert, aber sie funktionieren sehr ähnlich wie diese.

Das Mitleid des Rezensenten hält sich in Grenzen.

Stevenson für seinen sich immer mehr verengenden Focus die Schuld zu geben, ist vielleicht ungerecht. Bevor er zur Citibank kam, hatte er für 40 Pfund pro Tag Kissen in einem Sofageschäft aufgeschüttelt. Er wurde Zeuge, wie die meisten seiner Freunde ihre Zukunft mit Drogen verspielten.

Aber dieses Buch nennt sich selbst „Ein Geständnis“. Deshalb erwartet man, dass Stevenson etwas mehr Selbstreflexion in seine Geschichte einbringt. Was glaubte er, mit seinem Leben anzufangen? Was machte ihn so anfällig für die Anziehungskraft immer höherer Prämien, wenn es ihn seine Gesundheit kostete und ihm offensichtlich alles egal war, was man mit Geld kaufen kann? Warum konnte er keine sinnvolle Beziehung aufrechterhalten, weder innerhalb noch außerhalb der Bank?

Die Antwort darauf kommt leider nie. Stattdessen verbringt Stevenson 400 Seiten damit, gegen alles und jeden zu wettern. Er lamentiert über die Schule, die ihn verwiesen hat, seine Kommilitonen und die Professoren sowie seine Handelskollegen, weil sie nicht so schlau sind wie er. Er strotzt nur so vor Verachtung für die Makler, die von ihm abhängig sind, und er ärgert sich darüber, dass das Top-Management seinen Bonus aufschiebt.

Als die Bank ihn nach Japan schickt, folgt ihm seine Freundin, allerdings erst, nachdem sie dafür gesorgt hat, dass sie eine eigene Unterkunft und einen Job hat. Sie ist nicht hinter seinem Geld her, sondern, im Gegenteil, sie möchte ihn überreden, dass er kündigt, auch wenn das bedeutet, auf die letzten 1 oder 2 Millionen Pfund an aufgeschobenen Boni zu verzichten. „Warum kämpfst du gegen sie, Gary?“, fragt sie ihn. „Du hast genug. Warum gehst du nicht einfach?“. Stevenson schreibt: „Da hat sie sich geirrt. Es ist nie genug. Und ich würde niemals gehen. Nicht, wenn es bedeutete, sie gewinnen zu lassen.“ Also trennt er sich nicht von der Citibank, sondern von seiner Partnerin.

Das Buch endet, als die Citibank nachgibt und Stevenson seinen aufgeschobenen Bonus erhält.

Das Buch hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Zwar legt Stevenson überzeugend dar, dass die Hochfinanz so giftig, rücksichtslos und zutiefst zynisch ist wie eh und je. Als Geständnis greift es jedoch zu kurz, da es an wirklicher Selbstkritik und Reflexion mangelt. Man wünschte, Stevenson hätte auch über diesen Teil seines Entwicklungsprozesses berichtet. Es würde vielleicht anderen helfen, die in ähnlichen Goldkäfigen gefangen sind.

Vielleicht aber auch nicht.




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Veröffentlicht am 30. März 2024