Buchkritik -- Grabner-Haider/Wuketits -- Erotik und Religion

Umschlagfoto, Erotik und Religion, InKulturA Es gibt nur wenige Termini, denen es gelingt, solch ein Spannungsfeld zu evozieren wie Religion und Erotik. Das ist auch der Titel des im Alibri-Verlag erschienenen Buches, in dem vier Autorinnen und Autoren sich diesem manchmal konfliktreichen Thema nähern. Gleich vorweg, es gereicht sowohl dem Verlag als auch den Verfassern zum Vorteil, dass der Titel auf das Wort Sexualität zugunsten des weitaus umfassenderen Begriffs der Erotik verzichtet hat.

In der Einleitung stellt Anton Grabner-Haider die sich durch das ganze Buch ziehende Frage, "Ist eine erotische Kultur möglich, die sich mit religiösen Überzeugungen verbindet?" So bemerkt Franz M. Wuketits zu Recht, dass die von Adam und Eva im Alten Testament gegessene verbotenen Frucht in Folge dazu führte, dass der Erkenntnis der Nacktheit eine leibes- und lustfeindliche und Jahrhunderte währende Abwertung der Sexualität folgte. Es ist die Krux der monotheistischen Religionen, sich schwer mit Erotik und Körperlichkeit zu tun.

Dankenswerter Weise führt Wuketits auch die in moralinsauren Hardlinerkreisen so beliebte Unterscheidung zwischen "Natürlich","widernatürlich", [und] "normal" ad absurdum, denn, wie er weiter ausführt, "In der Natur kommt, einfach gesagt, alles Mögliche vor, beispielsweise auch das Töten der eigenen Nachkommen."

Sein Fazit: Ein zufriedener Mensch, auch Dank eines erfüllten Sexuallebens, stiftet weniger Unheil und ist gegen politische oder religiöse Rattenfänger immuner als seine verklemmten Zeitgenossen. Hedonisten führen in der Regel keine Kriege.

In seinem Beitrag "Sexualität und Religion. Konflikte und Divergenzen", der den Hauptteil des Buches ausmacht, geht Grabner-Haider den kulturellen Entwicklungsstufen der Menschheit und ihrem Verständnis von Erotik nach. Kurz und präzise beschreibt er die Regelung des Zusammenlebens, die Produktionsweisen und die religiösen Vorstellungen; einmal mehr sieht der Leser, dass der Monotheismus lust- und körperfeindlich war.

Ebenso wie Wuketits, der gegenüber der dem aktuellen Zeitgeist geschuldeten Genderideologisierung, "die Geschlechtsunterschiede herunterspielt; bis hin zu jener Verrücktheit, wonach die beiden Geschlechter ja nur gesellschaftliche Konstruktionen seien. Zu einer solchen Auffassung kann man nur kommen, wenn man beide Augen vor der biologischen Realität verschließt, von der sich unsere Spezies auch in ihrer 'modernen' Kultur nicht befreien kann." klare Worte entgegensetzt, bezieht auch Grabner-Haider eindeutig Position, wenn er fordert "Erwachsene dürfen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren nicht erotisch und sexuell stimulieren!"

Susanna Berndt unternimmt eine "Fundamentalkritik der christlichen Sexualmoral" vor und zeigt, wie oft das Christentum in seiner Geschichte sich gegen alles Körperliche und Lustbetonende ausgesprochen hat. Dagegen Susanna Berndt "Religion und Sexualität passen im Grunde sehr gut zusammen - die mystische Erfahrung, die Ekstase, die Fähigkeit, für einen kurzen Augenblick alles um sich herum zu vergessen, bis zur völligen Selbstaufgabe."

Im letzten Beitrag des Buches bringt Lisz Hirn es auf den Punkt. Das menschliche Gehirn ist aufgrund seiner neurologischen Disposition dazu in der Lage, "eine nahezu unendliche Vielfalt von Ideen und Gefühlen zu repräsentieren" und deshalb, so die Autorin, ist erlaubt, "womit alle in die sexuelle Handlung involvierten Personen einverstanden sind."

"Erotik und Religion" ist ein überaus lesenswertes Buch über den gerade in der heutigen Zeit, die sich durch kommerzialisierte Sexualität, sprich Pornographisierung der Gesellschaft darstellt, dringend benötigten Rekurs auf das, im tiefsten Sinn, Göttliche der Sexualität.




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Veröffentlicht am 16. August 2015