Buchkritik -- Francis Fukuyama -- Identität

Umschlagfoto, Buchkritik, Francis Fukuyama, Identität, InKulturA Da haben politisch interessierte Menschen aber Glück gehabt, dass Donald Trump im November 2016 zum Präsidenten der USA gewählt wurde und Großbritannien per Volksabstimmung den Austritt aus der EU beschlossen hat. Wären diese beiden Ereignisse nicht eingetreten, dann hätten wir nicht das Vergnügen, einmal mehr den luziden Argumenten Francis Fukuyamas folgen zu dürfen.

Die Demokratie ist weltweit in eine Krise geraten, das jedenfalls konstatiert der an der Stanford-Universität lehrende Politikwissenschaftler. Menschen, genauer gesagt Bürger, wenden sich nicht nur in Russland, Ungarn und der Türkei autokratischen Herrschern zu, sondern das Phänomen Demokratieverdrossenheit betrifft viele derzeit noch funktionierenden demokratischen Staaten. Kurz ausgedrückt, der demokratischen Idee kommen die Bürger abhanden.

Um zu erklären, warum aktuell so viele politische Umwälzungen stattfinden, holt Fukuyama weit aus. Ein Individuum strebt nach Anerkennung. Im Platons Seelenlehre ist es der Thymos, der diese Anerkennung fordert. Die Genese des modernen Subjekts, so Fukuyama weiter, wurde durch Martin Luther und Jean-Jacques Rousseau in eine Innerlichkeit verlegt, die keiner Vermittlung durch äußere Institutionen, seien sie kirchlicher oder gesellschaftlicher Natur mehr bedarf. Über Kant und Hegel kommt es schließlich zur „Demokratisierung und Universalisierung der Würde“ und den damit einhergehenden immensen Gewinn an verbürgten Freiheiten.

Nun haben sich aber, das ist die zentrale These des Politikwissenschaftlers, die Begriffe Würde und Identität in einem Maß verselbständigt, dass innerhalb eines politischen Systems eine Fragmentierung stattfindet, die dazu angetan ist, die Gesellschaft zu zerstören. Es sind zwei Gummibegriffe, unter die jeder alles subsumieren kann, um politische Forderungen zu stellen – was in den demokratischen Staaten ja auch geschieht. Einzel- und Gruppeninteressen verlangen Gehör und politische Aufmerksamkeit und das führt dazu, dass die gesellschaftliche Konsistenz erodiert und sich eine große Zahl von Bürgern vom Staat abwendet.

Dass jedes Individuum nach Anerkennung strebt, ist beileibe keine neue Erkenntnis und doch liegt genau hier das Problem, der von Fukuyama richtig erkannten Krise der Demokratie. Wo beginnt und wo endet meine berechtigte Forderung nach Anerkennung und Würde? Als Beispiel nennt der Autor die „Kalifornische Taskforce zur Förderung von Selbstachtung und persönlicher Verantwortung“, die, so Fukuyama, in einem Bericht von 1990 festhält, dass jede Person „von einzigartiger Wichtigkeit“ sei, und zwar „weil ihr das kostbare und mysteriöse Geschenk des Lebens als Mensch gewährt worden ist“. Hört sich zweifelsohne gut an, wie aber soll sich daraus eine realistische Politik entwickeln?

Der globalen Politik laufen die Menschen davon, weil eben die liberale Demokratie marktwirtschaftlicher Prägung – Fukuyamas Frage nach dem „Ende der Geschichte“ –, nicht das Glück für alle bereithält. Spätestens seit den Finanz- und Bankenkrisen des Jahres 2008 haben sehr viele Bürger gemerkt, dass das globale Versprechen Wohlstand, Frieden und materieller Sicherheit eher ein Placebo für die Massen gewesen ist. Während sich Hedgefonds und andere Bankster mit Hilfestellung der Politik kriminell bereichert haben, wurde die Masse der Bürger für deren Handlungen zur Kasse gebeten. Frage, wo bleibt in diesem Fall die Würde?

Die Demokratie hat derzeit keine Antworten für die anstehenden Probleme. Auch das sieht Fukuyama vollkommen richtig. Die Politik in den demokratischen Nationen hat nämlich alle Hände voll damit zu tun, Partikularinteressen zu befriedigen, also Identitätspolitik zu betreiben. Dass das jedoch der gesellschaftlichen Zersplitterung Vorschub leistet, will und kann sie nicht sehen, denn „die üblichen Verdächtigen“ sind einflussreich und medial bestens vernetzt.

Die Menschen streben eben nicht ausschließlich, wie es klassische Wirtschaftstheorien behaupten, nach der Vermehrung ihres Vermögens oder handeln gar immer absolut rational. Das muss auch Francis Fukuyama anerkennen und kommt folgerichtig zu dem Schluss, „In Wirklichkeit benötigen wir eine Theorie, die erklärt, weshalb manche Menschen nach Geld und Sicherheit trachten, während andere bereit sind, für eine Sache zu sterben, oder Zeit und Geld aufwenden, um ihre Mitbürger zu unterstützen. Die Aussage, dass Mutter Teresa und ein Hedgefonds-Manager jeweils schlicht ihre Nützlichkeit maximieren, lässt einen wichtigen Teil ihrer Motivation außer Acht.“

Was also tun, damit der Verfall der Demokratie verhindert werden kann? Hier reibt sich der Leser dann doch etwas überrascht die Augen, denn Fukuyamas Vorschläge – Stärkung der Außengrenzen, verbesserten Strategien zur "Assimilation" von Ausländern, die Schaffung einer "nationalen Bekenntnisidentität" auf der Grundlage von "Konstitutionalismus, Rechtsstaatlichkeit und Gleichheit" –, im Klartext also alles Voraussetzungen, die nur ein funktionierender Nationalstaat garantieren kann, sind im Kern doch genau das, was die von ihm so geschmähten „Krisengewinner“ aktuell politisch versuchen.




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Veröffentlicht am 2. März 2019