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Buchkritik -- Harlan Coben/Reese Witherspoon -- Ohne ein letztes Wort

Umschlagfoto, Buchkritik, Harlan Coben, Reese Witherspoon, Ohne ein letztes Wort, InKulturA McCabe, eine ebenso brillante wie gebrochene Militärchirurgin, hat ihre besten Jahre auf den Schlachtfeldern des Nahen Ostens verbracht. Gemeinsam mit ihrem Mann Marc und dem Freund Trace gründete sie nach dem College die WorldCures Alliance, eine jener idealistischen Organisationen, die mit der Kraft des Guten gegen das Elend der Welt ankämpfen. Ihre Mission war edel, beinahe biblisch: den Ärmsten helfen, dort, wo die Wunden der Menschheit am tiefsten klaffen. Es war der Versuch, dem Chaos der Welt eine heilende Hand entgegenzustellen. Doch die Welt, so wissen wir, vergilt Idealismus selten mit Dank. Ein Angriff in Libyen zerstört das fragile Dreigestirn: Marc stirbt, Trace verschwindet spurlos, und mit ihm der Prototyp des künstlichen Herzens THUMPR7, jener Vision eines technologischen Messianismus, der einst Millionen hätte retten sollen.

Als die Geschichte einsetzt, ist von den großen Plänen nichts geblieben als Ruinen. Aus Idealismus ist Erschöpfung geworden, aus Hoffnung eine lastende Erinnerung. Maggie McCabe hat nach einem fatalen Behandlungsfehler ihre Approbation verloren, ihr Konto ist leer, ihr Schuldgefühle übervoll. Da tritt Evan Barlow in ihr Leben, ein Schönheitschirurg mit schillernder Vita und dunklen Motiven. Er bietet ihr einen Ausweg, gegen einen Preis, der, wie sich zeigen wird, weit höher ist als die vereinbarten Dollarbeträge.

Die Spur führt Maggie nach Russland, genauer gesagt in jene absurd glitzernde Oase des Reichtums namens Rublevka, wo Paläste wie aus Zucker gebaut scheinen und jeder Funke Moral im Goldglanz erlischt. Hier trifft sie Oleg Ragoravich, einen Oligarchen, dessen Geschmack ebenso vulgär wie sein Vermögen unermesslich ist. Schon sein Auftreten verrät eine Welt, in der jedes Maß abgeschafft wurde. Was als triviale Schönheitsoperation beginnt, eine Brustvergrößerung für seine Geliebte Nadia, entpuppt sich als Eintrittskarte in eine Welt, in der Dekadenz zur Ideologie geworden ist und Menschlichkeit nur noch als Schwäche gilt.

Witherspoon und Coben entfalten in „Ohne ein letztes Wort‟ ein Panorama der maßlosen Gier und der technologischen Hybris. Ihr Blick richtet sich auf die wohlhabenden Eliten, die den Tod nicht mehr als biologische Gewissheit akzeptieren wollen, sondern als technisches Problem betrachten, das man mit genügend Kapital und Skrupellosigkeit lösen könne. Das Motiv des künstlichen Herzens wird so zum Symbol einer Zeit, die glaubt, man könne Moral, Schicksal und Endlichkeit einfach auslagern, an Maschinen, an Algorithmen, an Macht.

Wie gewohnt, lassen die Autoren keinen Zweifel daran, dass sie die Kunst des Erzählens beherrschen. Das Tempo ist hoch, der Plot rhythmisch gebaut wie ein pulsierender Herzschlag. Zwar geraten einige Nebenfiguren, etwa Maggies Schwiegervater „Porkchop“, zuweilen in die Nähe unfreiwilliger Groteske und wirken wie Fremdkörper im sonst fein austarierten Ensemble, doch mindert das den Sog der Geschichte kaum. Denn es ist diese Mischung aus Hochglanz und moralischer Fäulnis, aus Spannung und Zynismus, die das Buch trägt.

In den detailverliebten Passagen entfalten Witherspoon und Coben eine fast barocke Lust am Ornament: das Flugzeug, ein zu fliegendem Palast umgebauter Airbus A320 mit Marmorbad und Gourmetküche, Ragoravichs Datscha, die Versailles wie eine bürgerliche Sommerresidenz wirken lässt. Der Leser schwankt zwischen Faszination und Abscheu, und genau das ist wohl beabsichtigt.

„Ohne ein letztes Wort‟ ist ein Thriller, der über den Nervenkitzel hinausgeht. Er ist zugleich eine Parabel über die Grenzen des Fortschritts, über Schuld und Verführung, über den alten Traum, Gott ein Schnippchen zu schlagen. Mit einem feinen Gespür für moralische Zwischentöne zeigen die Autoren, wie nah Erlösung und Verdammnis beieinanderliegen, und dass selbst die größten Herzen manchmal aus Stein sind.

Fazit: Witherspoon und Coben gelingt das Kunststück, Unterhaltung und Gesellschaftsdiagnose zu verbinden. Hinter der glänzenden Oberfläche ihres Thrillers verbirgt sich ein Spiegel, in dem unsere Gegenwart unbarmherzig zurückblickt: eine Epoche, die glaubt, sich mit Geld von der eigenen Vergänglichkeit freikaufen zu können. Der Roman ist dabei weniger Mahnung als Versuchsanordnung und zeigt, dass auch die bestvernetzten, am perfektesten optimierten Menschen am Ende dem gleichen Gesetz unterliegen wie alle anderen: dem des Endes. Wer „Ohne ein letztes Wort‟ liest, entdeckt zwischen Luxusjets und moralischem Trümmerfeld ein Stück moderner Wahrheit, und vielleicht auch die Erkenntnis, dass die Menschheit längst aufgehört hat, Herzen zu erschaffen, weil sie damit beschäftigt ist, sie zu verkaufen. Vielleicht haben wir längst gelernt, Herzen zu ersetzen, aber verlernt, sie zu besitzen.




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Veröffentlicht am 25. Oktober 2025