Mit Prognosen darüber, wie die Zukunft der Menschheit aussehen könnte, ist es so eine Sache. Je nach angewandter Prämisse erscheint ein Ergebnis, das, ändert sich auch nur eine Grundannahme, sofort wie ein Kartenhaus zusammenfällt. "Homo Deus" von Yuval Noah Harari ist da keine Ausnahme.
Nachdem er im ersten Drittel seines Buches ungeniert dessen erfolgreich verkauften Vorgänger recycelt, kommt er zu dem fragwürdigen Schluss, dass Krieg, Hunger und Krankheiten, die Geißeln der Menschheit, mehr oder weniger beseitigt wurden. Darüber lässt sich trefflich streiten. Wenn Harari jedoch nicht müde wird zu betonen, dass unsere Vorfahren in der Steinzeit im Prinzip über die gleichen Fertigkeiten verfügten wie wir Heutigen, dann ist das doch eine, gelinde gesagt, verstörende Aussage. Wer glaubt ernsthaft, dass diese die "Fertigkeit" eines Artur Rubinstein oder Yehudi Menuhin oder gar das Abstraktionsvermögen eines Albert Einstein besaßen ...?
Als sich Harari nach diesen, den Leser ermüdenden Seiten, der Gegenwart zuwendet, kommt er zu dem durchaus korrekten Schluss, dass sich die Menschheit, zumindest die der wohlhabenden Nationen, vor einer dramatischen Veränderung befindet. So weit, so richtig. Doch dann zieht der Autor leider die angebliche Trumpfkarte derjenigen innerhalb der Wissenschaftscommunity aus der Tasche, die anscheinend mit der Komplexität menschlicher Handlungs- und Entscheidungsmuster überfordert sind.
Diese propagieren unentwegt das Ende vom Glauben an die Willensfreiheit. Bewiesen werden soll diese abstruse Theorie mit der Reduzierung des Biologischen auf einen reinen Algorithmus. Das mag wissenschaftlich daherkommen, doch halt, es gab doch vor noch nicht allzu langer Zeit die Diskussion darüber, wie viele Engel auf einer Nadelspitze Platz fänden oder die angebliche Gewissheit darüber, die Erde wäre der Mittelpunkt des Universums. Spätestens seit Alexander Unzicker wissen wir jedoch, dass Wissenschaft stets auch unter soziologischem und finanziellem Kontext stattfindet und die "Community" Fortschritt gern als einstimmigen Chor definiert.
Nachdem Harari die Willensfreiheit zugunsten biochemischer Vorgänge abgeschafft hat, gibt es folgerichtig auch keinen Platz mehr für den Menschen als wertendes Wesen, denn jetzt gilt: alle Macht dem Algorithmus, und der will "Unsterblichkeit, Glück und Göttlichkeit". Ersteres ist in Arbeit, zweiteres mit Psychopharmaka erreichbar und an letzterem wird ebenfalls fleißig gewerkelt. Dadurch wird durch das, was der Autor Humanismus, der bei ihm allerdings sehr weit gefasst ist, nennt, allerdings die Grundlage zur Zerstörung desselben gelegt.
Denn mit der Eliminierung der Freiheit des menschlichen Willens geht die Beseitigung des Sinns einher, der ebenfalls das Opfer des Algorithmus wird. Dieser hat, nachdem der Humanismus seinen Effizienz zum Opfer fällt, durchaus das Zeug zu einer neuen, definitiv letzten Religion, wenn man denn den Autor richtig versteht. Der, wie Harari es ausdrückt, Dataismus, das Reduzieren des Menschlichen auf das Binäre, das Fundament aller virtuellen Daten, erscheint als die letzte Stufe der, nunmehr nicht mehr menschlichen, Evolution.
Doch wir müssen keine Angst haben. Selbst dem Autor ist angesichts seiner Vision wohl etwas mulmig geworden. So schreibt er in einem seiner letzten Sätze, das die Zukunft stets offen ist. Es kann auch alles ganz anders kommen. Noch einmal Glück gehabt. "Homo Deus", viel Redundantes und wenig Erhellendes.
Meine Bewertung:
Veröffentlicht am 30. April 2017