Buchkritik -- Michel Houellebecq -- Elementarteilchen

Umschlagfoto  -- Michel Houellebecq  --  Elementarteilchen Die Frage nach der Aufgabe, dem Sinn von Literatur wird oft gestellt. Natürlich nicht von Kritikern oder Literaten selber, sondern eher von Personen, die nicht in den literarischen Betrieb mit all seinen Eitelkeiten und Intrigen verwickelt sind. Die Leser sind es, die sich des öfteren die Frage stellen, wozu ein Roman oder ein Gedichtband notwendig sei. Was bezweckt ein Autor damit, wenn er oder sie sich monatelang von der Außenwelt absondert und in seinem stillen Kämmerlein hunderte von Seiten zu Papier bringt?

Anerkennung, etwas Ruhm, Bekanntheit und wohl nicht zuletzt auch finanzielle Vorteile bei günstigen Rezensionen seines Buches. Manchmal ist es auch nur das Bedürfnis der Allgemeinheit etwas über den eigenen seelischen Zustand zu schildern. Bis auf wenige Ausnahmen haben diese Werke dann die beste Aussicht darauf, als Ladenhüter erst im Schaufenster und dann in Verlagslagerhallen die Zeiten zu überstehen.

Von Zeit zu Zeit jedoch taucht auf der literarischen Bühne ein Autor mit einem Buch auf, das gewaltig Furore macht. So auch in diesem Fall. Die Rede ist von Michel Houellebecq und seinem Buch "Elementarteilchen" . Wir stehen am Anfang eines neuen Jahrtausends und es gilt, über das alte nachzudenken und Bilanz zu ziehen.

Die Zeit war reif für eine Analyse der letzten sechzig Jahre, die beispielhaft für all die gesellschaftlichen und moralischen Fehlentwicklungen stehen, deren Ursprünge schon im 19. Jahrhundert zu suchen sind.

Der Autor sieht die Gegenwart als ein Zeitalter der metaphysischen Wandlung. Für ihn ist es nach dem Christentum und dem Beginn der modernen Wissenschaft im Mittelalter die dritte metaphysische Wandlung der westlichen Zivilisation. Sie besteht in der Anwendung von Genmanipulationen. Kein Zeitalter vor uns besaß solche Mittel in der Hand nicht nur die Geschichte zu verändern, sondern auch den Menschen selber.

Gerade der Mensch selber, sein Verhältnis zu sich und anderen ist in den letzten beiden Jahrhunderten problematisch geworden. Zu dem Zeitpunkt als die Seele der christlichen Anthropologie durch den biologischen Materialismus ersetzt wurde, begann die Entartung der menschlichen Existenz. Ohne Transzendenz bleibt dem Mensch nur noch Wahnsinn. Aller moralischen Begrenzungen ledig, wurde der Mensch orientierungslos. Seine Verzweiflung darüber betäubt er mit lustlosem Sex.

Houellebecq zeichnet ein pessimistisches und daher realistisches Bild von drei Generationen nach. Im gleichen Maß wie individuelle Beziehungen scheitern, so scheitert auch die Gesellschaft. Zwei Halbbrüder, Michel - Molekularbiologe und Bruno - seßbesessener Lehrer, beide Kinder einer egoistischen, lieblosen Mutter aus der 68er Generation sind durch ihre zerrüttete Kindheit geschädigt.

Während Michel ausschließlich für seine Forschungen lebt, besteht das Leben von Bruno in einer fortlaufenden Suche nach sexuellen Akten. Beiden ist gemein, das sie ihr Leben quasi authistisch bewältigen. Michel gelingt es am Ende seines Lebens ein geschlechtsloses, unsterbliches Wesen zu klonen. Bruno geht für den Rest seines Lebens freiwillig in die Psychiatrie.

Houellebecq rechnet mit der sogenannten 68er Generation ab. Die Verlogenheit, die intellektuelle Einseitigkeit und die aus zerstörten Eltern-Kind Beziehungen entsprungene Angst vor Beziehungen, ließen diese Generation in Egoismus und Selbstzufriedenheit verfallen. Unfähig ihr eigenes Leben zu verändern, flüchteten sie sich in dem Alter, in dem sie nicht mehr sexuell attraktiv waren in pseudoreligiöse Sekten.

Eine lebenslang konservierte Lüge machte aus dieser Generation moralische Authisten, die scheinbare Toleranz war ein Ausdruck verzweifelter Beliebigkeit: "Viele Jahre später sollte Bruno feststellen, daß die Welt der Kleinbürger, die Welt der Angestellten und mittleren Beamten toleranter, liebenswürdiger und aufgeschlossener ist als die Welt der Aussteiger, der am Rande der Gesellschaft lebenden jungen Leute, die damals durch die Hippies verkörpert wurden." (S.67)

Aufgrund dieser Verzweiflung am Sein, am Leben, ist es logisch, das Michels Bemühungen dahin tendieren, ein geschlechtsneutrales Wesen zu erschaffen. In einer Zeit ohne moralische Prinzipien macht auch Liebe keinen Sinn mehr. Die eigene schlimme Kindheit läßt ihn die natürliche Fortpflanzung als Verkörperung des Negativen betrachten.

Sämtliche Personen im Roman, Männer sowohl als auch Frauen, sind impotent. Ihr seelisches und körperliches Vermögen zu lieben ist äußerst reduziert. Michels und Brunos Freundinnen sterben an der körperlichen Vereinigung.

Houellebecq gibt ein beklemmendes Bild von der Generation, die zur Zeit in allen westlichen Demokratien die politische Meinung bestimmt. Einflußreich in leitenden Positionen, aber letztendlich persönlich gescheitert, wagen sie es nicht, sich von ihrer Lebenslüge loszusagen. Dabei wäre es von Vorteil, wenn sie das Schicksal von Bruno teilen würden. Für die Gesellschaft wäre es besser, diesen Personenkreis in der Psychiatrie zu wissen, als an den Schalthebeln der Macht.

Mein Rat für dieses Buch: Kaufen, lesen und weitergeben!




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