Buchkritik -- Daniel Kehlmann -- F

Umschlagfoto, Daniel Kehlmann, F, InKulturA Arthur Friedland hat drei Söhne, die Zwillinge Eric und Iwan, und, aus erster Ehe, Martin. Gemeinsam besuchen sie eine Hypnoseshow, die ihr Leben grundlegend verändern wird. Arthur lässt sein bisheriges Leben hinter sich, taucht komplett ab und veröffentlicht als mysteriöser, sich unnahbar gebender Autor kryptische, schwer zu interpretierende Romane.

Martin wird, fast zufällig, katholischer Priester, der seinen Glauben niemals findet. Eric ist ein Wirtschaftskrimineller, der seine Anleger betrügt und auch Iwan verdient sein Geld als Kunsthändler mit dem Fälschen von Bildern.

Es ist die Zeit kurz vor der Wirtschaftskrise und jeder der drei Brüder ist ein kleines Rädchen im Getriebe einer Welt, die, folgt man der Komposition Kehlmanns, aus einem Gewirr von Lügen, Betrug und Fälschungen besteht.

Martin, der es längst aufgegeben hat, seinen Glauben zu suchen, aber auch zu feige ist, um aus der behaglichen Umarmung der kirchlichen Organisation zu fliehen, bekämpft seine innere Leere mit Essen, ist folgerichtig fett und damit ein Mensch, der eine der sieben Todsünden, die Völlerei, begeht. Sein einziges Interesse besteht darin, Rubiks Würfel, ein Spielzeug, dessen Seiten so zu verdrehen sind, dass alle gleichfarbig werden, in Rekordzeit zu drehen. Auch Eric und Iwan begehen eine Todsünde, sie betrügen und bestehlen Menschen. Eric mit den Mitteln des modernen Finanzkapitalismus und Iwan mit seine Fähigkeiten als Kopist.

Daniel Kehlmann hat mit "F" einen Schlüsselroman des frühen 21. Jahrhunderts geschrieben. Unfähig zum Glauben, geldgeil und skrupellos, führen die Drei ein Leben, das sich dem Zeitgeist, eine fatale Mischung aus Ignoranz und Dummheit, anpasst und ihm gerade dadurch auch immer wieder Möglichkeiten der Pervertierung bieten.

Die Kirche, die Finanzwirtschaft und die Kunst sind die treibenden Kräfte eines Systems, dass, längst an sich selber irre geworden, scheitern muss. So wie Martin, Eric und Iwan scheitern, so scheitert auch die Gesellschaft. Dieser Bankrott wird den Brüdern jedoch erst bewusst, als sie die Leere ihres Daseins schmerzhaft spüren. Der fette Priester, unfähig zu Mitleid und Empathie, stranded, geworfen vom selbst gewählten Schicksal, in der Einsamkeit des Zölibats. Eric, kurz davor den Verstand zu verlieren, erkennt erst durch den Verlust seiner Familie und des gesamten Vermögens, wie arm er trotz vermeintlichem Reichtum gewesen ist. Iwan lebt von der geborgten Existenz eines Malers, dessen Werke er posthum fälscht und auf den Kunstmarkt bringt.

"F" ist ein pessimistischer Roman, dem Daniel Kehlmann jedoch durch sein erzählerisches Ausnahmetalent die gesellschaftkritische Spitze nimmt. Sein teilweise rabenschwarzer Humor trifft den Leser dann aber doch mit aller Macht. Wenn Martin sich die Beichte eines Betrügers anhören muss, der sich darüber beklagt, dass ein Deal dadurch schiefgehen kann, wenn man Schmiergeld bei der Steuererklärung als Sonderausgabe deklariert, ist das Zynismus in Reinkultur. Pointierter, schärfer und gnadenloser kann man die Gier auf Geld nicht beschreiben.

Aus gutem Grund ist keiner der Brüder ein Politiker, denn die Politik hat aktuell selber den Charakter einer Sekte angenommen und nach deren Credo der "Alternativlosigkeit" bereits religiös-dogmatische Züge demonstriert.

Das System steht kurz vor dem Kollaps, weil alle Mitspieler die Regeln missachtet haben. "Lügen musst du. [...] Du denkst, die Leute durchschauen dich, aber keiner durchschaut irgendwen.", so beschreibt Iwan die letzte übrig gebliebene Regel eines Systems, dass sich selber vernichtet - und mit ihm die Menschen.

"F" trieft nur so von einem Zynismus - den Daniel Kehlmann jedoch geschickt literarisch zu verpacken versteht - der die Grenze des Nihilismus längst überschritten hat. Iwan wird es am eigenen Leib erfahren.

Die Gesellschaft, die Daniel Kehlmann beschreibt, ist hässlich und zeigt nur all zu gern ihre Fratze. Wie ist Leben trotzdem möglich? Kann das Individuum aus diesem Teufelskreis entkommen oder ist das Schicksal festgelegt. Regiert das Fatum, wie es Kehlmann gleich zu Beginn des Romans geschickt vermuten lässt, oder ist es möglich, einen eigenen, einen anderen Wg einzuschlagen?

Zum Schluss begegnet der Leser dem Hypnotiseur Lindemann wieder, der Arthur Friedland dazu veranlasst hatte, seinem Leben eine andere Bahn zu geben. Und auch der ist ein verbitterter und gescheiterten Mensch geworden. Schicksal, Fatum, Zufall, wie immer man auch menschliche Existenz definiert, ist das Credo der Lauen und Unentschlossenen, der Feigen und Kollaborateure, der schattenhaften Mitspieler und der seelenlos Agierenden.

Daniel Kehlmann hat einen großen Roman über den Zeitgeist des 21. Jahrhunderts geschrieben.




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