Buchkritik -- Hans Mathias Kepplinger -- Die Mechanismen der Skandalierung

Umschlagfoto  -- Hans Mathias Kepplinger  --  Die Mechanismen der Skandalierung In einer modernen Gesellschaft haben die Medien die Aufgabe unabhängig vom politischen Tagesgeschäft über aktuelle Fragen zu informieren und die Hintergründe von Mißständen aufzudecken. Sie sollten dazu in der Lage sein, hinter die Phrasen von Politikern oder anderen Entscheidern, z. B. in der Wirtschaft, zu schauen und die Bürger über den wahren Sachverhalt zu informieren. So weit die Theorie.

In der Praxis jedoch sieht es leider anders aus. Medienkonzerne sind Wirtschaftsunternehmen und müssen wie andere auch Geld verdienen. Sie versuchen Leser, Zuschauer, etc. an sich zu binden. Diese Bindung geschieht in einer medial übersättigten Gesellschaft vermehrt nur noch durch die Produktion von angeblichen Skandalen.

Hans Mathias Kepplinger zeigt diese Mechanismen in der Neuauflage seines Buches Die Mechanisierung der Skandalierung. Anhand von "bekannten" Skandalen wie der geplanten Versenkung der Brent Spar in der Nordsee, die Spendenaffäre der CDU, Lothar Späths Flugreisen auf Kosten der Wirtschaft und anderer, noch im Gedächtnis der Bürger verbliebenen Enthüllungen, beschreibt der Autor den Aufbau, den Ablauf und die eigentlichen Fakten des scheinbaren Skandals.

Der Skandal ist primär ein öffentlich wahrgenommenes Ärgernis oder Fehlverhalten eines an führender Position stehenden Menschen oder einer Institution. Zwei Positionen stehen sich, so Kepplinger konträr gegenüber. Zum einen der Verursacher und zum anderen der oder die Aufklärer. Stellvertretend für die vielen "Skandale", die in den letzten Jahren über die Bürger hereingebrochen sind, sei hier die Greenpeace-Kampagne gegen Shell erwähnt. Aufgrund einer schlechten Eigendarstellung des Konzerns in den Medien gelang es der Umweltorganisation Greenpeace die Initiative an sich zu ziehen und den Konzern in der Öffentlichkeit vor sich her zu treiben.

Falsche Fakten, die von Greenpeace permanent veröffentlicht wurden, führten schnell zu einem nicht unbeträchtlichen Imageverlust des Konzerns. Niemand interessierte sich noch dafür, ob die von der Umweltorganisation propagierten Daten über die Menge der Schadstoffe in den Tanks der Brent Spar korrekt war. Die Öffentlichkeit hatte den Schuldigen längst ausgemacht, als der Konzern ungeschickt versuchte, sein Vorhaben zu verteidigen.

Im Nachhinein erwiesen sich die Daten von Greenpeace als falsch und die Reputation von Shell erholte sich davon nur sehr langsam. Zudem erwies sich die Verschrottung an Land als größere Umweltverschmutzung als die Versenkung in der Nordsee.

In einer technisch und wissenschaftlich so hoch spezialisierten Zeit wie der unseren, in der schon politische Entscheidungen auf Unverständnis der Bürger stoßen, haben Journalisten und Redakteure eine besondere Verantwortung ihren Lesern und Zuschauern gegenüber. Leider, so wieder Kepplinger, kommen sie ihrer Sorgfaltspflicht nicht immer in dem erforderlichen Maß nach. Medienberichte werden ohne eigene Recherche übernommen und nur mit jeweils anderen Schlagworten besetzt.

Ist der Prozeß der Skandalierung einmal in Gang gesetzt worden, kann er nicht mehr aufgehalten werden. Der Autor beleuchtet in seinem Buch beide Seiten des Skandals. Die Reaktionsmöglichkeiten der Skandalierten, wie auch die Beweggründe der Skandalierer. Erst lange nachdem der vermeintliche Skandal von neuen und natürlich viel schlimmeren Skandalen verdrängt worden ist, findet sich die Gelegenheit zur wirklichen Aufklärung. Doch die Medien sind schon mit der Produktion von neuen, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich ziehenden Skandalen beschäftigt.

Hans Mathias Kepplinger zeigt in seinem Buch die fatale Mechanisierung und die Eigendynamik dieser Prozesse. Wer sich dem durch eigene Recherchen entziehen will, gerät leicht ins Abseits, denn der jeweils aktuelle Mainstream verlangt nach totaler Unterwerfung. Der Autor spricht sogar davon, daß alle Skandale totalitäre Züge aufweisen, denn die Abweichung Einzelner würde den Machtanspruch der Skandalierer in Frage stellen. Wer sich noch an den Fall Sebnitz erinnert, in dem eine ganze Stadt in den Generalverdacht eines tolerierten Mordes geriet, kann dem nur zustimmen. Jeder der ohnehin wenigen Personen, die kritisch blieben, wurde eine rechtsextreme Gesinnung unterstellt.

Was in totalitären Systemen der Schauprozess war, das ist in demokratischen Gesellschaften der Skandal. Dieser Aussage des Autors kann man nicht widersprechen.




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