Buchkritik -- Joachim Koch -- Weder - Noch

Umschlagfoto  -- Joachim Koch  --  Weder - Noch Ist die Ökonomie die neue Philosophie, oder noch besser gefragt; ist die traditionelle Philosophie am Ende, weil sie sich durch den Markt hat korrumpieren lassen? Ist sie selber zur Ware geworden? Diese Frage untersucht Joachim Koch in seinem Buch Weder - Noch. Bei dieser Untersuchung herausgekommen ist nicht weniger als eine Philosophie- und Geistesgeschichte des europäischen Menschen. Anders als Autoren wie Richard Sennett, Naomi Klein, Viviane Forrester, Michel Chossudovsky und anderen Globalisierungskritikern welche die Auswirkungen der neuen Ökonomie darstellen, geht Joachim Koch der spannenden Frage nach, weshalb sich die Ökonomie so schnell verselbständigt hat, daß es zweifelhaft erscheint, sie jemals wieder bremsen zu können.

Um diese Frage beantworten zu können schlägt Koch eine große Brücke, ausgehend von der griechischen Philosophie über die Aufklärung, bis hin zum Versagen aller politischen und philosophischen Theorien im 20. Jahrhundert. Wollte die Philosophie seit ihrem Beginn die Vernunft des Menschen in den Vordergrund stellen, so müßen wir nach über zweitausend Jahren Philosophiegeschichte feststellen, daß die Auswirkungen dieser Vernunft die Welt mehrmal hintereinander nahe an den Abgrund geführt haben.

Ausgehend von der Aufklärung, die das Primat der Vernunft über das Gefühl, das nachmalige Romantische, postulierte, über Hegel, der den Weltgeist als sich schon verkörpernd im preussischen Gelehrten sah, bis zu Marx, für den das menschliche Wesen ausschließlich ein durch die Ökonmie bestimmtes Subjekt war, mußten alle Philosophien und die daraus resultierenden politischen Systeme ihren Bankrott erklären. Die Vernunft hatte fortan nichts mehr in der Philosophie zu suchen.

Alle, wie Koch es nennt, Megaphilosophien mußten scheitern, weil sie das Wesen des Menschen nicht real betrachtet haben. Das Primat der Vernunft wurde immer wieder dazu mißbraucht, sich selbst mit Hilfe von Intoleranz und Diktatur durchzusetzen. Das wurde auch von den Menschen Anfang des 20. Jahrhunderts so gesehen und fortan hatte die Philosophie keine ernsthaften Chancen sehr. An ihre Stelle trat jedoch eine neue Megaphilosophie. Unbemerkt und wieder unter dem Mantel der Vernunft, die doch jetz keine Vernunft der Philosophie in Form eines Systems mehr war und auch keine Vernunft der Politik für Massen sein wollte, sondern für sie stand der Einzelne, der Einsame, von allen Bezügen ethischer, sozialer und geschichtlicher Art verlassene und enttäuschte Mensch im Mittelpunkt.

Der Konsument als Egozentriker steht von nun an im Mittelpunkt. Das einfache, aber wirkungsvolle Credo lautet: "Ich konsumiere, also bin ich". Solange die finanziellen Mittel es erlauben steht jeder im Mittelpunkt. Alter und Geschlecht, Hautfarbe und politische Einstellung, Religion und ethisches Bewußtsein, all das ist egal. Wer die Mittel nicht mehr hat, ist draußen. Dort soll er leise jammern, aber bitte schön, die anderen nicht stören.

Koch zeigt deutlich, das hinter diesem Freiheitsversprechen der Ökonomie ein zügelloser Kapitalismus steckt, dem es nur daran gelegen sein kann, die letzen Reste von philosphischem und politischem Bewußtsein zu eliminieren. Genau hier trifft er auf willige Unterstützung seitens deren, die er zu gern in seine Fänge bekommen möchte. Die Vernunft als kollektive Erscheinung in Form eines politischen Systems ist durch die Katastrophen der 20. Jahrhunderts blamiert. Das Einzelwesen feierte von nun an seine persönlichen Triumphe.

Erlaubt ist, was gefällt und was die Kassen klingeln läßt. Argumente gegen die neue Megaphilosophie werden von der Ökonomie geschickt aufgegriffen und von ihr verarbeitet. Kritik ist scheinbar erlaubt und offiziell willkommen. Wenn sie jedoch durch die ökonomische Begriffs-Maschinerie gelaufen ist, dann bleibt nicht mehr viel von ihr übrig. Es ist, so Koch, ein Merkmal der neuen Ökonomie, das sie anscheinend auf die nicht materiellen Bedürfnisse der Konsumenten eingeht und dazu in der Lage ist, Kritik zu dulden. Da jedoch alles und jedes beliebig geworden ist, ist auch die Kritik davon betroffen. Bestenfalls wird sie zur Kenntnis genommen und wenn sie dem Geschäft nützlich ist, dann wird sie bearbeitet, verarbeitet und zum Konsum angeboten. Ist sie schlecht für das Geschäft wird sie nicht verboten, sondern viel schlimmer, sie wird ignoriert.

Joachim Koch hat ein Buch über das Versagen von Politik und Philosophie geschrieben. Es ist gleichzeitig ein Buch über unser eigenes Versagen. Wir sind die Konsumenten, die auf die Versprechen der Ökonomie hereinfallen. Wir sind zu bequem und zu faul, vielleicht auch zu dumm geworden, um uns unseres eigenen Vestandes zu bedienen. Man kann nicht auf die politischen und sozialen Verhältnisse schimpfen und gleichzeitig auf die Börsenwerte seiner Aktien schauen. Wir alle sind gefangen in einem Beziehungsgeflecht aus gegenseitigen Abhängigkeiten. Die Ökonomie braucht Menschen wie uns. Zeigen wir ihr, daß sich die Vernunft noch nicht aufgegeben hat. Dieses Buch von Joachim Koch hat das Zeug dazu, ein Standardwerk der Ökonomiekritik zu werden.




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