Buchkritik -- Konrad Löw -- Deutsche Schuld 1933 - 1945?

Umschlagfoto  -- Konrad Löw  --  Deutsche Schuld 1933 - 1945? Die deutsche Geschichte wird leider all zu oft auf die 12 Jahre währende Herrschaft des Nationalsozialismus reduziert. Die unter der Hitlerdiktatur verübten Verbrechen werden brennglasartig auf die gesamte damalige deutsche Bevölkerung fokussiert. In diesem historischen Kontext ist die Rede von der "Schuld des deutschen Volkes", die für nicht wenige zeitgenössische Publizisten sogar eine "immerwährende" ist. Die Frage der Schuld ist im juristischen Sinn die Verantwortung eines Einzelnen für seine Taten. Kollektivschuld gibt es ebenso wenig wie eine perpetuelle und umfassende Schuldzuweisung gegenüber den nachfolgenden Generationen.

Konrad Löw hat sich in seinem Buch Deutsche Schuld 1933 - 1945? intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, ob es richtig war, nach dem Ende des Nationalsozialismus das gesamte deutsche Volk für die in seinem Namen verübten Verbrechen zu beschuldigen. Auch für den Autor ist es stringent, dass es so etwas wie eine Kollektivschuld niemals geben kann. Der Einzelne trägt die Verantwortung für seine Handlungen. Stehen diese konträr zu bestehenden Gesetzen, dann muss er sich dafür vor Gericht rechtfertigen und, bei Nachweis seiner Schuld, auch dafür bestrafen lassen. Kein international anerkanntes Rechtssystem würde außer ihm auch noch seine Familie bestrafen.

Die Kernfrage, ob die, erst als Ausgrenzung und nach 1939 als gezielte Vernichtung der Juden in Deutschland betriebene Politik auf Zustimmung der damaligen Deutschen gestoßen ist, beantwortet Löw mit einem klaren Nein. Als Beleg führt er zahlreiche Aussagen von Zeitzeugen an. Nur diese sind dazu in der Lage und besitzen überhaupt erst die moralische und historische Kompetenz, über diese Zeit ein nahezu unparteiisches Urteil fällen zu können.

Schnell wird klar, dass mit der kollektiven Schuldzuweisung an die Adresse der Gesamtheit der deutschen Bevölkerung über dieses Volk ein geschichtliches Fehlurteil gesprochen wurde, dessen Auswirkung noch heute eine große gesellschaftliche Resonanz aufweist.

Wer oder was, wenn nicht die vom Autor herangezogenen Aussagen von betroffenen Menschen in Briefen, Gesprächen, Interviews und Erinnerungen können ein zutreffendes Bild der damaligen Situation abgeben? So sind dann auch die Darstellungen derjenigen, die über diese historische Epoche berichten, in einem sich jedes Mal ähnelndem Tenor getroffen worden. Es gab keine, von der Gesamtheit der deutschen Bevölkerung getragene Schuld an den nationalsozialistischen Verbrechen der Hitlerdiktatur.

Bei der Lektüre von Aussagen Betroffener - Löw lässt deren nicht wenige zu Wort kommen - wird klar, dass die Judenpolitik des Dritten Reiches bei der überwältigenden Mehrheit des deutschen Volkes auf stillen Widerstand stieß. So war der offizielle Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte für das Regime eine peinliche Niederlage. Nach Aussagen ernst zu nehmender Zeitzeugen erhöhten sich sogar die Umsätze der betroffenen Geschäfte, weil die Bevölkerung diesem Versuch wirtschaftlicher Ächtung keine Folge leistete. Sowohl die Novemberpogrome im Jahr 1938, als auch die Verordnung vom 1. September 1941 zum Tragen des sog. "Judenstern" fanden nicht die von der Partei gewünschte Zustimmung des Volkes.

Man muss sich vor Augen halten, dass die Bevölkerung insgesamt unter dem Terror und der Diktatur des Hitlerregimes zu leiden hatte. Das berüchtigte "falsche Wort" konnte unter Umständen zu einem, von allen gefürchtetem, unfreundlichen Kontakt mit der Gestapo, der Geheimen Staatspolizei, führen. Unter diesen Umständen war es mehr als mutig seinen individuellen, von jüdischen Zeitzeugen immer wieder betonten, Widerstand zu leisten. Wer, wie mancher aktuelle Zeitgeschichtsforscher, im Nachhinein von dieser Generation wesentlich mehr verlangt, als politisch und gesellschaftlich realistisch war, der verlässt das Gebiet der seriösen Geschichtswissenschaft.

Die oft und zu Recht zitierte Würde der Opfer darf nicht die Würde derjenigen vergessen machen, die ihrerseits das Mögliche getan haben, um dem System ein wenig Widerstand zu leisten. Konrad Löw ist weit davon entfernt, der Verharmloser zu sein, den manche publizierenden Geschichtsignoranten aus ihm machen wollen. Im Gegenteil, er zeigt ein anderes, mitunter konträr zum historischen Selbstverständnis vieler Deutschen sich befindendes Bild eines dunklen Teils der deutschen Geschichte. Die schrecklichen Verbrechen verlieren dadurch nichts von ihrer Grausamkeit und die Opfer entbehren nicht unserer Trauer. Die Frage der Schuld jedoch ist immer nur auf individueller Basis zu finden. Die vielen Kriegsverbrecherprozesse der Nachkriegszeit sprechen eine deutliche juristische Sprache. Um ein Verbrechen und die daraus resultierende Schuld justiziabel zu machen, ist immer die Betrachtung des Einzelfalles vonnöten. Die Rechtsprechung ist in den Händen der Justiz besser aufgehoben, als in ideologischen Zirkeln. Aus diesem Grund kann es, Konrad Löw belegt es in seinem Buch mit den zahlreichen Aussagen von Zeitzeugen, niemals den Vorwurf der Kollektivschuld eines ganzen Volkes geben.




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