Buchkritik -- Maryse Condé -- Mein Lachen und Weinen

Umschlagfoto, Buchkritik, Maryse Condé, Mein Lachen und Weinen, InKulturA Leben zwischen den Fronten, so könnte man die Kindheit von Maryse Boucolon bezeichnen. 1937 als jüngstes Kind einer Familie der schwarzen Oberschicht auf Guadeloupe geboren, wächst sie hinein in ein Spannungsfeld sozialer und familiärer Verwerfungen der sich dem Ende nähernden französischen Kolonialzeit.

Mit zunehmendem Alter erkennt das Mädchen und später die junge Frau die Mechanismen von Ausgrenzung und Rassismus, die nur schwer hinter dem Schleier formaler Gleichstellung verborgen sind. Ihre Eltern betrachten sich als französische Staatsbürger, was seit 1946, als Guadeloupe zum Überseedépartement Frankreichs wurde, formal korrekt ist, der Lebenswirklichkeit der Familie jedoch nicht gerecht wird.

Ihre Eltern, der Vater ist bei ihrer Geburt bereits dreiundsechzig Jahre alt, die Mutter im dreiundvierzigsten Lebensjahr, sind Beamte des französischen Staates und als solche bemüht, sich von denen abzugrenzen, die weder ihren Status noch die materielle Sicherheit besitzen. Überspitzt ausgedrückt sind sie das perfekte Produkt des Kolonialismus: farbige Menschen, gut ausgebildet, sich von ihrer eigenen Ethnie abwendend und verächtlich gegenüber allen, die nicht wie sie sind. Sie verabscheuen das gemeine Volk, dessen kreolische Sprache und dessen natürliche Lebensweise. Kurz, sie wollen französischer sein als die Franzosen.

So waren, die Autorin beschreibt es schmerzhaft lapidar, für ihre Eltern die eigentlichen Katastrophen des Zweiten Weltkriegs nicht die vielen Toten und die Verbrechen des Nationalsozialismus, sondern die Tatsache, dass die Familie keine Reisen ins „Mutterland“ unternehmen konnte.

Maryse wächst in einer eng begrenzten Welt auf. Schule, Kirche und das Haus, in dem die Familie wohnt, wird für sie sukzessive zu einem Käfig. Nur selten Mal dringt die Außenwelt ein und nicht zuletzt ist das der Grund für ihre Auflehung gegen die Eltern und deren Einschränkungen.

Es erweckt den Anschein, dass insbesonders die Mutter manchmal als treibende Kraft hinter den Ausgrenzungen steht, aber Condé blickt auch hier hinter die Kulissen und erklärt deren Handlungsweise. Unter der harten und unsentimentalen Schale der Mutter verbirgt sich eine Geschichte von Kinderarmut und Illegitimität. Erst spät, kurz bevor sie zum Besuch der Universität nach Frankreich fährt, gelingt ihr ein gewisses Maß an Versöhnung mit ihrer alternden und kranken Mutter - Eine der beeindruckendsten Stellen dieses Buches.

Gerade hier ist sie ihrer Familie am nächsten: Obwohl sie perfekt Französisch spricht, weiß sie darum, dass eine Integration aufgrund ihrer Hautfarbe unmöglich ist, fühlt sich aber gleichzeitig von denen entfremdet, die wie sie sind. Nicht zuletzt während ihre Studiums in Frankreich wird sie sich darin bestätigt sehen.

Doch dort gelingt ihr, von der die Mutter immer behauptete, sie sei entfremdet, der selbstbewusste Reifungsprozess. Im Paris der Nachkriegszeit lernt sie junge farbige Intellektuelle kennen, die ihren Heimatländern Unabhängigkeit bringen werden. Ihre Wege kreuzen sich mit Sekou Toure, Richard Wright, Cheikh Kane und Cheikh Diop.

Am Ende des Buches ist sie sich der Situation, die ihre Herkunft ihr durch kulturelle, rassische und Klassenwidersprüche auferlegt hat, bewusst und erst dadurch in der Lage, ihre Identitätsprobleme zu überwinden und ihren eigenen, auch literarischen Lebensweg zu gehen.




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Veröffentlicht am 25. Oktober 2020