Buchkritik -- Paul Lendvai -- Über die Heuchelei

Umschlagfoto, Buchkritik, Paul Lendvai, Über die Heuchelei, InKulturA „Heuchelei“, so die Definition, bezieht sich auf das Handeln oder die Äußerung von Tugenden, Glauben oder Gefühlen, die man nicht wirklich besitzt oder empfindet. Sie beinhaltet, eine falsche Darstellung von sich selbst zu geben, oft um sozial akzeptiert oder bewundert zu werden, oder um eigene Interessen zu verbergen oder zu fördern. Heuchelei ist in der Regel eine Diskrepanz zwischen dem, was jemand sagt oder zeigt und dem, was diese Person tatsächlich denkt oder wie sie agiert.

Ein Blick auf die Etymologie des Wortes zeigt, dass es aus dem Mittelhochdeutschen "hügelære" stammt, was so viel wie "Heuchelei" oder "Heuchler" bedeutet. Das Wort hat seinen Ursprung im Althochdeutschen "huogilāri". Diese althochdeutsche Form setzt sich zusammen aus "huogo", was "Höhlen" oder "Verstecken" bedeutet, und "lāri", was "Lehrer" oder "Meister" bedeutet. Es ist interessant zu sehen, wie sich der Begriff von einem ursprünglichen Sinn des Verbergens oder Versteckens zu seinem heutigen Sinn entwickelt hat, der die Idee des Scheins oder der Unehrlichkeit beinhaltet.

Bei Letzterem, Unehrlichkeit, sind wir, zeitlos gültig, bei der Politik und den sie betreibenden Akteuren, den Politikern, gelandet, denen man wohl nicht zu nahe tritt, wenn man behauptet, dass sie die Kunst der Verstellung, der Manipulation und des Lügens aus dem Effeff beherrschen.

Paul Lendvai hat dieser menschlich, allzu menschlichen, also nicht nur politischen Eigenschaft, ein Buch gewidmet. Der Autor ist ein österreichischer Journalist ungarischer Herkunft, der für seine Berichterstattung über Osteuropa bekannt ist. Er wurde am 24. August 1929 in Budapest, Ungarn, geboren und emigrierte 1957 nach Österreich. Lendvai arbeitete lange Zeit für die österreichische Tageszeitung "Die Presse" und war später Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "profil". Seine Arbeit konzentriert sich oft auf politische Entwicklungen und historische Ereignisse in Osteuropa, insbesondere in Ungarn. Er hat mehrere Bücher über die Geschichte und Politik Ungarns sowie über den Kalten Krieg und die Nachkriegszeit veröffentlicht.

Er arbeitet sich an drei Staatsmännern ab, welche, lassen wir den österreichischen Polithalodri und Ex-Kanzler Sebastian Kurz einmal beiseite, die derzeitigen Lieblingsfeinde des, wie er sich selbst gerne nennt, Wertewestens sind. Wladimir Putin und Victor Orbán.

Gehen wir davon aus, dass Heuchelei auf dem politischen Parkett nur schwer von Diplomatie unterschieden werden kann, so liegt die Vermutung nahe, dass Ehrlichkeit auf der politischen Bühne eher ein Desiderat ist und Lügen, verkleidet hinter wohlklingenden Worten die Regel sind.

Das trifft auch die gegenseitige Einschätzung und Beurteilung von Staatsmännern, die sich vor laufenden Kameras gerne gegenseitig Honig ums Maul schmieren. Politisch nichts Neues und nur der aufmerksame Beobachter des politischen Zeitgeists versteht es, hinter den wohltönenden Sätzen Dissonanzen zu erkennen.

Warum also jetzt ausgerechnet Wladimir Putin und Victor Orbán als Zielscheiben für Lendvais Abrechnung mit der Heuchelei auf dem politischen Parkett? Beide sind aus Sicht des Wertewestens schlimme Finger, weil sie sich partout nicht der herrschenden Einheitsmeinung bezüglich des von NGOs und anderen interessierten Kreisen betriebenen Systemwechsels anschließen wollen.

Beide, Putin und Orbán, spielen in Lendvais politischem Kosmos die Rolle der Bösewichter, denn sie stehen dem von Autor fast mit einem Heiligenschein versehenen „Philanthropen“ Georges Soros und dessen Aktivitäten – inzwischen betreibt sein Sohn Alexander die globalhumanistischen Systemveränderungen weiter – kritisch bis ablehnend gegenüber.

Mit keinem Wort geht Lendvai auf die hinter der russischen Intervention in der Ukraine stehenden politischen Gründe ein, die nicht zuletzt der gezielten Einmischung durch Georges Soros und dessen Open Society Foundations geschuldet sind, die sich, demokratisch zwar nicht legitimiert, jedoch mit schier unerschöpflichen Geldmitteln ausgestattet, in innerpolitische Belange von zahlreichen Staaten, u. a. der Ukraine, einmischt, um dort einen Systemwechsel zu initiieren.

Nach der Lektüre dieses Buches muss der aufmerksame Beobachter des politischen Zeitgeists betrübt feststellen, dass auch ein Journalist der alten Schule nicht davor gefeit ist, dem aktuellen politischen Mainstream zu verfallen. Mit dem hätte sich der 2014 verstorbene Welterklärer Peter Scholl-Latour niemals gemein gemacht.




Meine Bewertung:Bewertung

Veröffentlicht am 17. März 2024