Buchkritik -- Manfred Henningsen -- Der Mythos Amerika

Umschlagfoto  -- Manfred Henningsen  --  Der Mythos Amerika Die USA sind zweifellos ein Land, dessen Leistungen auf nahezu allen Gebieten Bewunderung verdienen. Einst als Hort der Freiheit gelobt und Ausgangspunkt für Millionen Einwanderern und deren Hoffnung auf ein besseres Leben. Die schiere Größe und die Errungenschaften dieser Nation machen bisweilen blind für die Entwicklungsbedingungen der nordamerikanischen Geschichte. Bis hinein in die neueste Geschichte durchzieht eine Selbstglorifizierung dieses Land. Größe, Stärke, wirtschaftliche und militärische Macht werden unter Zuhilfenahme des Mythos der Auserwähltheit und eines Gottesgnadentums perpetuiert.

Manfred Henningsen hat diese Verherrlichung in seinem Buch Der Mythos Amerika einer genaueren Untersuchung unterzogen. Sein Fazit unterscheidet sich erheblich von der Selbsteinschätzung dieser Nation. Beginnend mit der offiziellen Entdeckung Amerikas durch Columbus im Jahr 1492 zieht sich eine Spur der Gewalt und der Unterdrückung durch die Geschichte dieses Kontinents. Der Autor zeigt auf, wo die eigentlichen Gründe für die wirtschaftliche Prosperität und die militärische Stärke der USA lagen.

Zwei wesentliche Punkte sind hierbei festzuhalten. Einmal die Tatsache des Landraubs und die damit verbundene Ausrottung der nordamerikanischen Ureinwohner und zum zweiten die Sklaverei und der daraus resultierende Rassismus dieser Nation. Millionenfache Ausrottung und millionenfache Sklaverei bilden den historischen Hintergrund und werden im Blick auf die eigene Geschichte permanent ausgeblendet.

Henningsen beschreibt die historischen Vorgänge durchaus richtig. Sein Urteil jedoch beruht auf auf Maximen und ethischen Grundsätzen, die erst, nach vielen gewaltsamen Auseinandersetzungen, in der Moderne formuliert wurden. Es ist zwar zutreffend und tragisch, dass die Konflikte mit den Ureinwohnern dieses Kontinents für letztere in einem fast vollständigen Genozid endeten, doch dies war, wiederum tragisch, dem Welt- und Selbstverständnis des 16. und 17. Jahrhunderts inhärent. Dies soll jedoch bei weitem keine Entschuldigung dieser (Un)Taten darstellen.

Es ist jedoch wissenschaftliche Unredlichkeit aktuelle Prämissen auf historische Vorgänge anzuwenden. Vielmehr ist es notwendig, wie es Henningsen auch unternimmt, die historischen Voraussetzungen zu untersuchen. Eine Wertung derselben, wie immer sie auch aussieht, sollte unterbleiben.

Niemand, bis auf verblendete Rassisten, wird heute infrage stellen, daß Sklaverei und Völkermord zu den abscheulichsten Vorgängen in der an Gräueltaten wahrlich nicht armen Geschichte der Menschheit gehören. Der Autor sieht unter anderem die Religion, besonders die Christliche, in der Verantwortung für beides, Sklaverei und Völkermord. Tatsächlich ging die Antisklavereibewegung jedoch von den evangelikalen Splittergruppen der Neuen Welt aus. An dieser Stelle argumentiert Henningsen leider nicht historisch korrekt.

Auch seine These, dass der bis in das 20. Jahrhundert währenden Rassismus der Abwesenheit einer starken linken Bewegung geschuldet war, überzeugt nicht. Dies beweist eine "verfeinerte" Art des Rassismus, nämlich der latente Antisemitismus der europäischen Linken im 20. Jahrhundert.

Im Wesentlichen ist dem Autor jedoch beizupflichten. Der Mythos Amerika wurde mit dem Blut von Millionen Menschen geschrieben. Dem der schwarzen Sklaven und dem der Ureinwohnern des nordamerikanischen Kontinents. Es ist an der Zeit, diesen historischen Opfern der heutigen amerikanischen Größe Tribut zu zollen. Ob dies jedoch, wie es Henningsen freudig vorweg nimmt, vom aktuellen Präsidenten Obama in der angemessenen Weise geleistet werden kann, bleibt skeptisch abzuwarten.




Meine Bewertung:Bewertung