Buchkritik -- Markus Gabriel -- Warum es die Welt nicht gibt

Umschlagfoto, Markus Gabriel, Warum es die Welt nicht gibt, InKulturA Wenn Autoren, Philosophen und andere Geisteswissenschaftler bilden da keine Ausnahme, proklamieren, dass sie nichts weniger vorhaben, als eine neue Sicht der Welt, einen philosophischen Paukenschlag, einen endgültigen Durchbruch zur Lösung der letzten Fragen, kurz gesagt, eine radikal neue Philosophie auf den Markt der Eitelkeiten zu werfen, dann ist für den Leser und philosophisch Interessierten höchste Vorsicht geboten.

So auch bei dem Buch "Warum es die Welt nicht gibt" von Markus Gabriel. Angekündigt als die bahnbrechende Philosophie eines "neuen Realismus", gelingt es dem aktuellen Liebling des Feuilletons vorzüglich, alten Wein in neue Schläuche zu gießen und mit dieser bewährten Taktik Verzückung und Lobpreisung seitens derjenigen zu erlangen, deren Kenntnisse der Philosophie inzwischen arg in die Jahre gekommen zu sein scheinen.

Der Titel weckt ohne Frage beim Leser Neugier. Das ist erst einmal gut, denn die Philosophie erhebt ja gerade den Anspruch, die letzten Dinge erklären zu wollen und hinter den Schleier - wenn es denn einen gibt - der Existenz zu blicken. Wenn dann der Autor auch noch vollmundig auf den ersten Seiten eine radikal neue Weltsicht verspricht, sollte von da an sprichwörtlich "die Post abgehen" und ein Feuerwerk neuer Ideen und Theorien folgen, das nicht nur den Alltagsphilosophen schwungvoll in neue, bislang unbekannte Welten entführt.

Wie groß ist die Enttäuschung, wenn sich im Verlauf der Lektüre herausstellt, dass es sich bei dem versprochenen Neuland in Wirklichkeit um altes und längst bekanntes Terrain handelt. Metaphysik und Konstruktivismus waren gestern. Heute wissen wir, einen großen Dank an Markus Gabriel, dass jeder von uns in einem "Sinnfeld" lebt, weswegen der Autor auch flugs die neue "Sinnfeldontologie" aus der Taufe hebt.

Dass es die Welt nicht gibt, liegt, so der Autor, daran, dass der Betrachter dieser Welt immer einen Standpunkt außerhalb braucht, um die Welt in Augenschein zu nehmen. Da dieser dann selber nicht Bestandteil der von ihm beobachteten Welt sein kann, gibt es auch die Welt, verstanden als alles das, was alles umfasst, nicht. Genauso wie ein Fotoapparat sich nicht selbst fotografieren kann, können wir die Welt nicht als letzte Tatsache wahrnehmen, steht der Betrachter doch immer, salopp ausgedrückt, daneben.

Für den philosophisch Interessierten ist das jetzt nichts wirklich Neues. Die Metaphysik hat sich spätestens mit Hegels "Phänomenologie des Geistes" dergestalt erledigt, als dass der "Weltgeist" sich ausgerechnet als Ausgeburt eines deutschen verbeamteten Philosophieprofessors feiert. Da auch den verschwatzten französischen Philosophen nicht Gescheites zum Thema "Ich konstruiere meine eigene Welt" einfällt, ist zum Glück auch das Problem gelöst. Warum jedoch um Himmels Willen Gabriel ausgerechnet aus Kant einen Vorläufer des Konstruktivismus macht, dass bleibt sein (schreckliches) Geheimnis.

Erstaunlich bzw. befremdlich wirkt das Eindreschen des Prof. Gabriel auf die moderne Physik und hier besonders sein Ressentiment gegenüber Stephen Hawking. Hat der Herr Professor etwa Angst, dass ihm die theoretische Physik in Bezug auf Erkenntnis und die gesuchte Weltformel, die es, folgt man Gabriels Argumentation, nicht geben dürfte, in die Quere kommt?

Jeder, der mit dem aktuellen Forschungsstand der theoretischen Physik vertraut ist, muss konstatieren, dass diese auf die letzten Fragen bessere Antworten zu geben versteht, als die moderne Philosophie. Diese hat, jedenfalls im universitären Bereich, nur noch den Charakter hermeneutischer Studien und bestenfalls den einer Philosophiegeschichte. Das Buch von Markus Gabriel beweist das durch seinen Rekurs auf philosophische Tendenzen, die sich längst erledigt haben.

"Warum es die Welt nicht gibt" ist leider ein Buch, dass zwar das deutsche Feuilleton glücklich zu machen scheint, hat doch dieses Land jetzt endlich einen jugendlichen Held der Philosophie. Dass der es im Eifer des Gefechts nicht so genau nimmt mit den Tatsachen - z. B. die Darstellung Kants als Vordenker des Konstruktivismus - macht anscheinend nichts aus und die Leser merken eh nichts. Wenn das den aktuellen Stand deutscher Hochschulphilosophie darstellt, sollten die Fakultäten und Fachbereiche lieber geschlossen werden.

Man könnte dieses Buch als sophistische Lockerungsübung eines angehenden Modephilosophen betrachten - amüsant als Urlaubsliteratur der gehobenen Art - wenn dessen Autor nicht diese Aussage treffen würde: "Der existentielle Jammer stellt sich ein, wenn man vom Leben etwas erwartet, das es nicht gibt, nämlich Unsterblichkeit, ewige Glückseligkeit und eine Antwort auf all unsere Fragen. Wenn man an das Leben auf diese Weise herangeht, wird man nun einmal enttäuscht".

Da richten sich doch die Nackenhaare auf und man fragt sich, was dieser Aufguss der "besten aller Welten", an die schon Leibniz nicht mehr hätte glauben dürfen, soll. Die einzig mögliche Antwort darauf lautet wohl, dass ich in einem vollkommen anderen Sinnfeld leben muss als Markus Gabriel. Denn für mich beginnt dort die Philosophie, wo sie für den Autor von "Warum es die Welt nicht gibt" anscheinend endet.

Böse Zungen könnten nach der Lektüre auf den Gedanken kommen, der von Gabriel angekündigte "neue Realismus" sei in Wahrheit eine Rechtfertigungsschrift für die bleierne Zeit der Merkel-Regentschaft - stromlinienförmig und selbstzufrieden. Das ist keine Philosophie, sondern Propaganda.




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Veröffentlicht am 18. September 2013