Buchkritik -- Peter Schmidt -- Mythos Emotionale Intelligenz

Umschlagfoto  -- Peter Schmidt  --  Mythos Emotionale Intelligenz Gefühle gehören zu den Themen, denen sowohl Philosophen als auch Psychologen gerne aus dem Weg gehen würden. Per definitionem mit wissenschaftlichen Kategorien nicht zu beschreiben, erweisen sich Emotionen als sperrige Hürde, welche die Fachwissenschaft gern umgeht. Dabei - und das wissen wir alle aus eigener Erfahrung - spielen Gefühle eine wesentlich größere Rolle in unseren Leben und unseren Entscheidungen, als wir es selber wahr haben wollen. Der Philosoph Peter Schmidt will mit seinem Buch Mythos Emotionale Intelligenz zur Klärung der Frage, welche Rolle Gefühle bei unseren sozialen und privaten Konflikten spielen.

Die Gesellschaft - wir selber - sind Opfer einer emotionalen Desorientiertheit. Die Urteile, die vorschnell als objektiv bezeichnet werden, sind Werterfahrung geschuldet, die, so Schmidt, fälschlicherweise den Charakter von absoluten Kategorien besitzen.

Werte, bzw. Werterfahrungen können niemals generalisierend wirken, sondern sind anhängig von individuellen Situationen und Befindlichkeiten. Deshalb kann es keine Wahrheit sui generis geben, sondern letztendlich nur Spiegelbild persönlicher Wahrnehmung. Es gibt keine Wahrheit, es gibt nur Zustände. Dieser Satz beschreibt wohl treffend die alltägliche Situation sich vermeintlich im Recht befindender Individuen, die sich aufgrund falscher Prämissen das eigene Leben und das vieler anderen schwer machen.

Folgt man der Argumentation von Peter Schmidt, so wird klar, weshalb die Probleme, die aus diesen emotionale Störungen, bzw. den unkorrekten Wertanalysen resultieren, in der Gesellschaft einen so großen Raum einnehmen, sodass man ohne Weiteres von einen Massenphänomen sprechen kann. Nicht nur falsche und ungenügend reflektierte Werterfahrungen machen es möglich in einen kollektiven Zustand der emotionalen Desorientierung zu fallen, sondern auch die Angst des Einzelnen vor abweichendem Verhalten, das in der Regel mit der Sanktion des Ausschlusses aus der Gesellschaft geahndet wird.

Welches sind nun aber die grundlegenden Prämissen, um zu einer korrekten Werterfahrung zu gelangen? Zur Beantwortung dieser Frage führt Peter Schmidt die Begriffe Attractio und Aversio in die Diskussion ein. Attractio-Erfahrungen sind angenehm und anziehend. Dem gegenüber stehen die Aversio-Erfahrungen, die abstoßend und negativ sind. Neben der intellektuellen Einsicht, bzw. der Vernunft hat uns die Natur mit einer weiteren grundlegenden Methode ausgestattet, um Dinge mit Werten zu versehen, deren Mittel für uns als begehrenswert oder abstoßend zu machen. Attractio und Aversio sind also die Grunderfahrungen, die es ermöglichen, aus dem emotionalen Chaos, dass Peter Schmidt eingangs seines Buches diagnostiziert hat, entkommen zu können.

Der zentralen Aussage des Buches "Der für alle Menschen gleiche - und einzig mögliche - Sinn des Lebens ist die Erfahrung von Attractio." ist dann auch zunächst ohne Weiteres zuzustimmen. Jeder normale - wenn man dann diesen zu Missverständnissen einladenden Begriff benutzen will - Mensch hat das Bestreben nach Harmonie und Positivität. Das gelingt jedoch nur, wenn sich das Individuum aus den bequemen Ketten der gesellschaftlich aufoktroyierten Konventionen und Verhaltensmustern befreit.

In der Erfahrung von Attractio und deren grundlegender Bedeutung für ein gelungenes Leben liegt jedoch gleichzeitig auch die Krux dieser Argumentation. Der vom Autor als Beispiel eines typischen emotionalen Irrläufers beschriebene Terrorpilot des 11. September 2001, Mohammed Atta, kann ebenfalls für sich mit gutem Recht behaupten, er sei den Weg seiner persönlichen Attractio gefolgt. Die Tatsache, dass viele Tausend Menschen Attas Verbrechen zum Opfer gefallen sind, also unfreiwillig in einen Zustand geraten sind, der es ihnen unmöglich gemacht hat, das zu vermeiden, was sie nicht bereit waren zu verlieren - ihr Leben - war für Mohammed Atta das Endziel seiner Tat.

Der Attractio Attas stand die Aversio vieler anderer diametral entgegen. Ausgehend von Mohammed Attas islamisch geprägten Hintergrund war sein Terrorflug nur all zu logisch. Auch die besten Argumente - Peter Schmidt führt sie in seinem Buch an - hätten ihn nicht von seinem Vorhaben abbringen können. Das Individuum Atta ist seiner persönlichen Attractio gefolgt.

Wenn es tatsächlich der Fall sein sollte, und vieles spricht dafür, dass es anstelle der einen Wahrheit nur unendlich viele Zustände gibt, dann wird die Diskussion über eine individuell den Werten zugeordnete Attractio und deren Relevanz für das Gelingen von Gesellschaft mehr als schwierig.

Diejenigen, denen es gelingt, sich mithilfe der "Werturteils-Theorie" von Peter Schmidt aus den Fesseln der Irrationalität zu befreien, wird es nicht gelingen mit emotionalen Irrläufern wie z. B. Mohammed Atta in einen Dialog treten zu können. Auch die desorientierten Zeitgenossen berufen sich - aus ihrer Sicht der Dinge zu Recht - auf die Gültigkeit ihres eigenes Werturteils. Um diesem Dilemma zu entgehen, wäre es notwendig, allen irrationalen Systemen wie sie u. a. Religion und Ideologie darstellen, den Kampf anzusagen. Als Tagesordnungspunkt einer zukünftigen ToDo-Liste vielleicht keine schlechte Wahl.

Abseits eines ordinär dem Lustprinzip verhafteten Hedonismus ist jedoch die Attractio-Aversio-Theorie von Peter Schmidt eine brauchbare Anleitung um sich aus manchen irrationalen Gefühlsverstrickungen zu befreien. Dem Ausspruch des Autors "Wir werden noch nicht zwangsläufig glücklich, wenn sich alle Menschen positiv verhalten. Aber wir werden mit großer Wahrscheinlichkeit eher unglücklich, wenn sich sehr viele Menschen negativ verhalten" ist nichts hinzuzufügen.




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