Philosophie Magazin -- 04/2016

Umschlagfoto, Philosophie Magazin, 04/2016, InKulturA Eines der großen ungelösten europäischen Probleme besteht derzeit in der "Flüchtlingskrise". Hier vermischen sich, deshalb in Anführungszeichen gesetzt, zahlreiche Fragen politischer, wirtschaftlicher und sozialer Dimension. Der wohl auf Dauer, findet sich keine befriedigende Lösung, stattfindende Ansturm auf Europa, genauer gesagt auf die Länder, die eine großzügige Hilfestellung in Form sozialer und materieller Versorgung versprechen, führt auch dem politische eher uninteressierten Bürger vor Augen, dass der Begriff Verantwortung angesichts der globalen Migrationsströme einer neuen Definition bedarf.

"Wo endet meine Verantwortung?", so fragt das Philosophie Magazin in der aktuellen Ausgabe. Überspitzt formuliert trifft hier Gesinnungsethik auf Verantwortungsethik, mit, im angewandten Fall Ersterer, fatalen Konsequenzen. So ist der Philosophie-Professor Stefan Gosepath davon überzeugt, dass es eine globale Hilfspflicht gibt, um im Anschluss daran die berechtigte Frage zu stellen, wer denn "eigentlich zum Kreis der Helfer gehört: Deutschland? Die Türkei? Europa? Oder die ganze Welt?"

Verantwortung ist erst einmal auf das unmittelbare Lebensumfeld des Individuums ausgerichtet: Familie, Freude und Nachbarschaft. Hier, in persönlich erfahrbaren Situationen, wird Verantwortung übernommen und gelebt. Darüber hinaus gibt es die Verantwortung des Einzelnen dafür zu sorgen, dass die staatlichen Institutionen, die, wie im aktuellen Fall, dafür sorgen, dass Hilfemaßnahmen koordiniert und ausgeführt werden, ihre Arbeit erfolgreich ausführen können. Das setzt jedoch voraus, Gosepath argumentiert hier richtig, dass es zu keiner Überforderung des Systems kommt. Die tritt jedoch, zumindest auf individueller Basis, dann ein, wenn, wie er weiter ausführt, man sein persönliches Lebensglück dafür opfern müsse. Ähnlich argumentiert Svenja Flaßpöhler, die die Verantwortung des "wahren Liberalen" global verortet, nämlich "bis ans Ende der Welt".

Verantwortung ist, und das wird leider nur ansatzweise in der Diskussion zwischen Bernhard Schlink und Ludger Heidbrink deutlich, auch auf politischer Ebene notwendig. Warum fliehen Menschen aus ihrer Heimat, verlassen ihr dortiges Leben und suchen in der Fremde ein neues Zuhause? Das westliche Politikverständnis geht von der Souveränität auch des kleinsten Staates aus und akzeptiert damit automatisch das Vorhandensein korrupter Führungen, die ihr Land ausbeuten und seine Rohstoffe verkaufen, ohne die Bevölkerung daran teilhaben zu lassen. Auch repressive klerikale Eliten, mit denen die Industrienationen gern Geschäfte machen, haben einen nicht geringen Anteil am Entstehen von Failed States und die daraus resultierenden Fluchtbewegungen.

Vielleicht, und das ist zugegeben ein politisch unkorrekter Vorschlag, brauchen wir weniger die von Stefan Gosepath geforderte "weltweite Flüchtlingssteuer", sondern vielmehr eine weltweit agierende Eingreiftruppe, die Verstöße gegen geltende Rechte robust ahndet.

Wer bislang der Meinung gewesen ist, dass Extrembergsteiger und Hochalpinisten Menschen sind, die zu feige für einen "ordentlichen" Selbstmord seien, sollte sich unbedingt das Gespräch zwischen Reinhold Messner und Sylvain Tesson durchlesen. Metaphysik ist, entgegen aktueller philosophischer Lehrmeinung, alles andere als out-of-date.





Veröffentlicht am 21. Mai 2016