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Buchkritik -- Jussi Adler-Olsen/Line Holm/Stine Bolther -- Tote Seelen singen nicht

Umschlagfoto, Buchkritik, Jussi Adler-Olsen, Line Holm, Stine Bolther, Tote Seelen singen nicht, InKulturA „Tote Seelen singen nicht“, schon der Titel lässt aufhorchen. Was nach elegischem Stillstand klingt, entpuppt sich als vitaler Neubeginn. Jussi Adler-Olsen, diesmal flankiert von Stine Bolther und Line Holm, gelingt mit diesem Roman die kaum für möglich gehaltene Wiederauferstehung der legendären Abteilung Q. Wo andere Reihen nach zehn Bänden an kreativer Ermüdung kranken, lodert hier neues erzählerisches Feuer auf; intelligent, atmosphärisch dicht und mit einem Gespür für jene abgründige Melancholie, die seit jeher das Markenzeichen dieser Reihe ist.

Carl Mørck, der eigenwillige Ermittler mit der Neigung zum Sarkasmus und zur Selbstironie, hat sich inzwischen offiziell in den Ruhestand verabschiedet und feiert als True-Crime-Autor Achtungserfolge. Doch wie so oft im Leben lässt sich das Vergangene nicht einfach ablegen. Eine verstörende Audioaufnahme, die ihm nach einer seiner Lesungen zugespielt wird, konfrontiert ihn erneut mit der Schattenseite seines Berufs: Ein angeblicher Selbstmord, vier Jahre alt, entpuppt sich als perfide Inszenierung. Eine unbekannte dritte Person war am Tatort und schon bald ist Mørck wieder dort, wo er eigentlich nie wieder hinwollte: mitten im Morast ungelöster Fälle.

Was folgt, ist ein klassischer Abteilung-Q-Fall und doch mehr als das. Die Dynamik zwischen den altvertrauten Figuren trägt das Geschehen, ohne in Routine zu verfallen. Rose, gewohnt schnippisch und temperamentvoll, kämpft gegen den Verfall ihrer Abteilung, während Assad mit seiner entwaffnenden Offenheit versucht, die brüchige Moral zusammenzuhalten. Zwischen Sarkasmus und Sentiment schwingt die tiefe Verbundenheit eines Teams, das trotz aller Reibungen weiß: Ohne einander wären sie verloren.

In diese vertraute Konstellation tritt nun eine neue Figur, die den Kosmos des Sonderdezernats in Bewegung bringt: Helena Henry, eine dänisch-französische Polizistin mit geheimnisvoller Vergangenheit. Sie ist kühl, brillant und alles andere als vertrauenswürdig. Zwischen ihr und Rose entsteht von Beginn an eine elektrisierende Spannung, ein unterschwelliges Kräftemessen, das weit über persönliche Antipathien hinausgeht. Roses Verdacht, dass mit Helena etwas nicht stimmt, wird zum zweiten Erzählstrang, einem Subtext aus Misstrauen, Täuschung und Verrat, der der Handlung zusätzliche Tiefe verleiht. In diesem psychologischen Schattenraum entfaltet der Roman seine stärkste Wirkung.

Das Autorentrio erweist sich als geglückte Symbiose: Die erzählerische Handschrift Adler-Olsens – düster, ironisch, lakonisch – bleibt spürbar, wird aber durch die Perspektiven und stilistischen Nuancen von Bolther und Holm verfeinert. Gemeinsam gelingt ihnen ein Roman, der thematisch und emotional auf mehreren Ebenen überzeugt. Die Spannung speist sich nicht allein aus der Frage nach dem Täter, sondern ebenso aus dem moralischen Geflecht der Figuren. Wie lange darf ein Mensch für seine Fehler büßen? Wann wird Schuld zu Schicksal? Und wie viel Wahrheit verträgt eine Seele, bevor sie, wie der Titel andeutet, verstummt?

Auch die Konstruktion des Falls selbst ist bemerkenswert: Aus einer simplen Tonaufnahme wächst ein Netz aus Lügen, gebrochenen Versprechen und verdrängten Wahrheiten. Jede Wendung scheint organisch, jede Enthüllung zwingend. Hier schreibt ein Autorenteam mit sicherem Gespür für Timing und Atmosphäre. Das Tempo bleibt hoch, die Dialoge sind präzise, der Witz schneidend, und selbst die düstersten Passagen sind von jener existenziellen Ironie durchzogen, die Adler-Olsen stets vor bloßer Tristesse bewahrt hat.

Und dann ist da noch Rose, dieser vulkanische Charakter, der sich im Laufe der Reihe zur emotionalen Mitte entwickelt hat. Ihr Verhältnis zu Helena, ihre Verletzlichkeit und ihre Wut, verleihen dem Roman eine psychologische Wucht, die weit über das Genre hinausweist. Dass sich gegen Ende eine unerwartete, vielleicht gar schicksalhafte Wendung in Roses Lebensweg andeutet, lässt auf kommende Konflikte hoffen und darauf, dass Abteilung Q noch lange nicht am Ende ist.

„Tote Seelen singen nicht“ ist mehr als ein gelungener Serienfortsatz. Es ist eine Hommage an das, was Abteilung Q immer ausgezeichnet hat: die Suche nach Wahrheit in einer Welt, die lieber schweigt. Der Roman kombiniert Spannung mit Tiefgang, bittere Realität mit feiner Ironie und bestätigt, dass der skandinavische Krimi – in den richtigen Händen – nichts von seiner Strahlkraft verloren hat.

Ein eindringlicher, vielschichtiger Thriller und eine unbedingte Leseempfehlung für alle, die wissen wollen, wie sich Wiedergeburt im Kriminalroman anfühlt.




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Veröffentlicht am 8. Oktober 2025