Richard Wagner polarisiert ohne Frage. Leben und Werk werden immer noch vereinnahmt von gegensätzlichen Positionen und damit leider verkürzt auf eine rigide interpretierte Biographie. Dass das nicht so sein muss, zeigt Ulrich Drüner auf beeindruckende Weise mit seinem Buch über den Komponisten, das auch nach der Flut von Veröffentlichungen anlässlich des Wagner-Jahrs 2013 wirklich Neues zu berichten weiß.
Der frühe Tod sowohl seines leiblichen als auch seines Pflegevaters ist hinlänglich bekannt. Drüner jedoch widmet sich intensiv dem Verhältnis zwischen Wagner und seiner Mutter, das, man darf es so nennen, von ihrer großen Distanz zum Sohn dominiert wurde. Ebenso aufregend neu ist die ausführliche Beschäftigung mit Wagners erster Frau Minna, die, im Gegensatz zu anderen Biographen und Wagner-Forschern, nicht die tumbe und geistig beschränkte Partnerin gewesen ist, sondern die Eskapaden ihres Mannes mit stoischer Gelassenheit ertragend, ihm jedoch bei seinem Schaffensprozess immer beiseite stehend. Überhaupt die erotischen Ausflüge des Komponisten, sie waren für Wagner der Schlüssel, die in seinem Werk manchmal arg komplizierten Beziehungsdramen überhaupt inszenieren zu können.
"Die Inszenierung eines Lebens", so der Untertitel der Wagner-Biographie, beschreibt dann auch den Tenor des Werkes von Ulrich Drüner, der sich nicht scheut, das Leben des Komponisten als eine fortgesetztes Arrangement der Theatralik zu beschreiben.
Dass Richard Wagner zum Antisemiten wurde, ist bekannt und daraus folgend resultiert vielfach die Ablehnung seiner Werke. Dass es so einfach nicht ist, zeigt der Autor anhand seiner Werkinterpretationen des "Siegfried" und der "Meistersinger". Hier stehen sich antisemitische Ressentiments und humanistische Ideen gegenüber, die zeigen, dass sich die Person Wagner nicht in eine bestimmte Schublade einordnen lässt, sondern, bei aller berechtigten Kritik, ein weites Feld an interpretatorischen Möglichkeiten bietet.
Drüner hat 1987 über Richard Wagner promoviert und ist Orchestermusiker. Das mag erklären, warum es ihm gelingt, sowohl die Person Wagner als auch sein musikalisches Werk mit einer Stringenz zu untersuchen, die, kennt man andere Biographien des Komponisten, so wohltuend komplex ist, doch niemals sich vereinnahmen lässt von nur einem Deutungsansatz.
Wagner vollzog in seinem Leben einige abenteuerliche Wendungen. Vom Barrikadenkämpfer zum musikalischen Intimus Ludwig II., König von Bayern, vom Nutznießer der Freundschaft zu Meyerbeer hin zu ihn betreffenden antisemitischen Ausfällen Wagners, zeigt Drüner das Portrait eines Ausnahmekomponisten, dessen zweite Frau, Cosima, die Legende vom Genie auch nach dessen Tod weiterführte. Überhaupt Cosima; wäre Wagner und sein Werk ohne sie überhaupt denkbar? Ulrich Drüner gibt die Antwort: "Die vorausgegangenen Jahre [...] hatten gezeigt, dass ihm, dem großen Wagner, eine wirkliche Sinngebung seines Lebens allein nicht gelingen konnte".
Wagner, das ist auch der immer währende Kampf um Honorare, denn der Komponist liebte es verschwenderisch. Gerade seine erste Frau Minna wusste, und Ulrich Drüner sei es gedankt, jetzt auch der Leser, davon ein Lied zu singen. Stets lebte der Komponist über seine Verhältnisse, obwohl allein die Erfolge des Rienzi und Lohengrin, gemessen an aktuellen Zahlen, für ein Auskommen gesorgt hätten. Daneben erfährt der Leser auch einiges über die damals verzwickten Tantiemenregelungen, die nicht selten die Komponisten leer ausgehen ließen.
Nicht zuletzt die Ungeschicklichkeit in finanziellen Dingen dürfte bezüglich des Wagnerschen Antisemitismus eine wesentliche Rolle gespielt haben, warf er doch u. a. seinem ehemaligen Gönner und Förderer Meyerbeer vor, ihn zu hintergehen. Dass dem nicht so gewesen ist, stellt Drüner klar und verweigert sich einmal mehr gängigen Klischees der Wagnerliteratur.
Ulrich Drüner gelingt der Spagat zwischen Ablehnung der ideologischen Motive Wagners und der Bewunderung seiner Musik, die der Autor in sehr persönlichen Zeilen beschreibt. Richard Wagner ist auch nach der Lektüre des Buches ein im wahrsten Sinn unfassbares Phänomen. Dass der Schleier der Selbstinszenierung zumindest einige Risse erhalten hat, ist dem Autor zu verdanken.
Meine Bewertung:
Veröffentlicht am 30. Juli 2016