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Buchkritik -- Repair Club - Der Countdown läuft

Umschlagfoto, Buchkritik, Repair Club, Der Countdown läuft, InKulturA Es ist erstaunlich, wie schnell Kriege verschwinden, nicht aus der Realität, sondern aus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Der Abzug der Alliierten aus Afghanistan wurde im Fernsehen als eine Serie spektakulärer Hubschrauberbilder inszeniert, als ob der Krieg selbst wie ein Bühnenbild in Windeseile abgebaut würde. Was blieb, war eine Leere, die der Zuschauer mit einem Achselzucken füllte. Und doch glimmt unter dieser Asche ein Feuer, das nicht erlischt. Es glimmt in den Köpfen derer, die dort waren, und es knistert in den Aktenordnern, die nie freigegeben werden. Charles den Tex bläst mit „Repair Club - Der Countdown läuft“ kräftig in diese Glut. Auf der Oberfläche ist es ein Spionagethriller mit sauber austariertem Spannungsbogen, auf einer tieferen Ebene jedoch ein Roman über das Unmögliche: die Reparatur von Geschichte.

John Antink, pensionierter Geheimdienstchef, hat zwei Wochen Zeit, einen Mord aufzuklären, der fast zwanzig Jahre zurückliegt. Schauplatz der Tat war ein Einsatz in Afghanistan, zur Zeit der Alliiertenpräsenz. Die Ermittlungen führen ihn nicht nur zu jenen, die damals dabei waren, sondern auch in sein eigenes Gedächtnis, jenes unzuverlässige Archiv, das sich weigert, eindeutige Wahrheiten herauszugeben. Der Countdown ist dabei nicht nur ein dramaturgisches Mittel, sondern eine doppelte Metapher: zum einen für die begrenzte Zeit, die der Held hat, um seine Mission zu erfüllen, zum anderen für den unausweichlichen Ablauf der Geschichte selbst. Jeder Tag bringt nicht nur den Plot, sondern auch die Biografie des Helden an ihren Endpunkt.

Der „Repair Club“ ist ein Zirkel von Menschen, die Dinge reparieren, teils mechanisch, teils biografisch. Sie stehen für eine Generation, die gelernt hat, dass man im Leben Brüche nicht verhindert, sondern flickt. Den Tex versteht es, diesen Club als ironisches Sinnbild unserer Gegenwart einzusetzen. Wir leben in einer Gesellschaft, die mehr Energie in kosmetische Korrekturen investiert als in das Verhindern des nächsten Schadens. In der Spionagewelt bedeutet „Reparatur“ oft Vertuschung. Eine Mission misslingt, und statt eines Abschlussberichts gibt es eine „bereinigte“ Version. In diesem Spannungsfeld zwischen sichtbarer und unsichtbarer Wahrheit bewegt sich der Roman, und trifft damit eine der großen Nervenzonen politischer Gegenwartsliteratur.

Dass der Autor den Afghanistan-Abzug als narrative Tiefenbohrung nutzt, ist kein Zufall. Dieses Kapitel der Militärgeschichte ist wie gemacht für Spionageliteratur: eine unklare Front, wechselnde Loyalitäten, fragwürdige Missionen und eine Öffentlichkeit, die bald das Interesse verliert. Literarisch betrachtet, ist Afghanistan im Thriller-Genre ein ambivalenter Ort, zu real, um als bloße Kulisse zu dienen, zu komplex, um in klaren Helden-/Schurken-Kategorien erzählt zu werden. Den Tex umgeht diese Falle, indem er nicht den Krieg selbst ins Zentrum rückt, sondern dessen Nachwirkungen, das moralische Sediment, das sich in den Seelen der Beteiligten ablagert.

Wer schnelle Schnitte, ununterbrochene Action und überzeichnete Dialoge sucht, wird in „Repair Club - Der Countdown läuft“ eher auf eine gedämpfte Spannung stoßen. Der Autor bevorzugt den langen Atem, das gezielte Einblenden von Informationen, oft mit einem Schuss ironischer Distanz. Das führt zu einem paradoxen Effekt: Der Roman ist in seiner Handlung von Eile getrieben, zwei Wochen, um alles zu lösen, aber sein Stil verweigert sich dem gehetzten Puls. Stattdessen spürt man die Handschrift eines Autors, der weiß, dass im Spionagegeschäft nicht das Tempo, sondern die Kontrolle über den Informationsfluss den Unterschied macht.

John Antink ist keine James-Bond-Karikatur, sondern ein Mann, der seine Erfahrung wie eine zu schwere Uniform trägt. Die Ermittlungen sind für ihn weniger ein Job als eine Zwangsbeichte, und je weiter er in der Vergangenheit gräbt, desto stärker rutscht der Roman ins Psychologische. Besonders bemerkenswert ist, wie Den Tex mit Antinks Erinnerungen umgeht. Sie erscheinen nicht als lineare Rückblenden, sondern als brüchige, widersprüchliche Fragmente. Das ist mehr als ein erzählerischer Trick, es ist die literarische Umsetzung der Tatsache, dass Erinnerung im Kontext von Krieg nie neutral ist.

Den Tex steht in einer langen Reihe von Autoren, die Spionage nicht als romantisches Abenteuer, sondern als moralisches Labyrinth begreifen, John le Carré ist hier der naheliegende Vergleich. Doch während le Carré sich oft im Kalten Krieg verortet, greift Den Tex ein Feld auf, das der Gegenwartsliteratur noch nicht in der gleichen Breite gehört: die post-heroische Phase westlicher Militäreinsätze. Der Afghanistan-Abzug liefert dafür eine fast schon klassische Kulisse. Kein klarer Sieg, kein eindeutiger Gegner, dafür ein Reigen aus politischen Versprechungen, die im Staub der Landepisten vergehen.

Man kann diesen Roman auch als Kommentar zur Funktionsweise moderner Staaten lesen: Kriege werden begonnen und beendet wie Projekte, mit einem Startdatum, einem Enddatum, und einer PR-Strategie. Was in den Akten bleibt, sind die „Reparaturberichte“. Was in den Köpfen bleibt, ist nicht protokollierbar. Den Tex deutet diese politische Mechanik an, ohne in Agitprop zu verfallen. Er zeigt, wie die Lebensgeschichten der Protagonisten zu Nebenschauplätzen geopolitischer Entscheidungen werden, und wie wenig die Betroffenen selbst zu Erzählern ihrer eigenen Biografie werden.

„Repair Club - Der Countdown läuft“ ist ein Roman, der die Spannungsschraube nicht in jeder Szene anzieht, aber im Rückblick umso fester im Gedächtnis bleibt. Er operiert wie sein Held: kontrolliert, kalkuliert, mit dem Wissen, dass der entscheidende Moment oft nicht im Schuss, sondern im Schweigen liegt. In der gegenwärtigen Spionageliteratur, die häufig zwischen actionlastiger Klischeefalle und dokumentarischem Realismus pendelt, nimmt Den Tex damit eine Zwischenposition ein. Er liefert genug Genre, um zu unterhalten, und genug Tiefgang, um literarisch zu wirken. Es bleibt das Gefühl, dass „Reparatur“ nicht nur der Beruf eines Clubs ist, sondern die heimliche Aufgabe des Lesers: Er muss das Puzzle aus Fakten, Lücken und Andeutungen selbst zusammensetzen. Und vielleicht merkt er dann, dass es im Leben wie im Krieg keine vollständige Reparatur gibt, nur Provisorien.




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Veröffentlicht am 17. August 2025