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Buchkritik -- Ferdinand von Schirach -- Ein stiller Freund

Umschlagfoto, Buchkritik, Ferdinand von Schirach, Ein stiller Freund, InKulturA Ferdinand von Schirach bleibt seinem Stil treu: kühl, knapp, melancholisch. In „Der stille Freund‟ erzählt er einmal mehr nicht von „gewöhnlichen Leuten“, sondern von jenen, die sich in einem besonderen Zwischenraum bewegen, Künstlern, Sportlern, Intellektuellen, verarmte Adelige, Menschen, die entweder Geld, Bildung oder Aura haben, manchmal alles zugleich. Es sind Existenzen, die in der Gesellschaft einen Namen tragen und doch im Innersten brüchig bleiben.

Da ist etwa der Tennisspieler Gottfried von Cramm, einst gefeiert, zugleich gebrochen an den Härten seiner Epoche. Oder Egon Friedell, der Wiener Feuilletonist und Schauspieler, der im Angesicht der Nationalsozialisten aus dem Leben sprang, eine Entscheidung, die Schirach mit lakonischer Präzision erzählt. Solche Biographien sind für ihn keine bloßen historischen Randnotizen, sondern Spiegelbilder menschlicher Verletzlichkeit: vergangene Leben, die noch einmal im Licht seiner Prosa aufscheinen.

Die Schauplätze dieser Erzählungen sind entsprechend kosmopolitisch: Rom, Wien, Kapstadt, die Côte d’Azur. Städte, die äußerlich glitzern, deren Straßen und Häuser aber voller Schatten sind. Schirach zeigt in diesen Kulissen Geschichten von Operationen, Kämpfen, vom Sterben, und verbindet das Morbide stets mit einer leisen Wehmut, die sich nie ins Sentimentale verliert.

Im Hintergrund jedoch erklingt eine tiefere Tonlage: die Kant’schen Fragen, die in der Titelgeschichte aufscheinen und als literarischer Basso Continuo das ganze Buch durchziehen. „Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?‟. Sie sind die unsichtbare Partitur, auf der jede Erzählung variiert, sei es im Schicksal eines Sportlers, im Ende eines Intellektuellen oder in den Schatten einer europäischen Metropole.

Das melancholische Grundrauschen seiner Prosa wird dadurch vertieft: Denn wer viel hatte, Schönheit, Ruhm, Intellekt, Reichtum, kann umso eindrücklicher verlieren. In diesem Kontrast von Glanz und Verfall, Weltgewandtheit und Vergänglichkeit, entfalten sich Schirachs Geschichten als kleine, in sich geschlossene Meditationen über das menschliche Maß.

„Der stille Freund‟ ist damit weniger eine Sammlung klassischer Geschichten als ein Kaleidoskop von Lebenssplittern, getragen von einem philosophischen Unterton. Schirach erzählt von Menschen, die größer, gebildeter, weltläufiger erscheinen, und zeigt gerade dadurch, dass auch sie den ewigen Fragen nicht entkommen.




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Veröffentlicht am 17. September 2025