Selbstbestimmt oder Fremdbestimmt, permanente Krise oder alltägliche Selbstaufgabe, authentisch oder manipuliert? Zwischen diesen Polen verläuft modernes Leben. Selbstverständlichkeiten wie sie noch wenigen Generationen vor uns geläufig waren, gibt es nicht mehr. Anstelle dessen trat eine Beliebigkeit der Meinungen und eine öffentlich sanktionierte Arroganz der Handlungen ein, die allenfalls noch Aufsehen erregen, wenn sie ein bisher schon erreichtes Maß an Perversität noch überbieten.

Das "Normale", quasi der Grundzug, die Basis einer Gesellschaft verkam zu einer allseits belächelten, mitleidig bespöttelten Ausnahmeerscheinung. Privates Fernsehen und Hochglanzmagazine überbieten sich bei der Suche und der Darstellung menschlicher Abgründe, die dabei auf dem Markt medialer Mittelmäßigkeit noch als Ausdruck persönlicher Freiheit gehandelt werden.

Doch all die innere Perspektivlosigkeit, die Verzweiflung über die Seichtheit der jeweiligen Existenz erzeugt "therapeutischen Handlungsbedarf", der auch immer sofort befriedigt wird. Spielsucht, Sexsucht, Schokoladensucht, usw. sind moderne Formen der Orientierungslosigkeit des in die Welt geworfenen Menschen. Die moderne Gesellschaft, mehr als alle anderen Formen des menschlichen Zusammenlebens vor ihr, ist darauf angewiesen, daß alle an ihr beteiligten Personen funktionieren. Fällt ein Teilnehmer, (ich sage bewußt Teilnehmer und nicht Individuum, denn Individualität setzt kritische Reflektion voraus), aus der trotz aller Beliebigkeit immer noch gesellschaftlich geforderten Funktionalität heraus, so ist sofort ein Fachmann zur Stelle, der ein wie auch immer geartetes Krankheitsbild entwirft und sofort mit der Therapie beginnen kann.

Was noch für unsere Großelterngeneration lediglich ein Fehlverhalten war, welchem mit einer gehörigen Portion Willenskraft Paroli geboten werden konnte, ist in der modernen Gesellschaft ein Suchtverhalten, dem therapeutisch begegnet werden muß. Auf diese Art und Weise schafft sich die Moderne ihre eigenen, nur für sie typischen Krankheiten.

Wo früher das Gespräch mit einem guten Freund stand, dort stehen heute Legionen von Psychologen bereit, um eifrig dafür zu sorgen, daß sich die Menschen nicht allzu gesund fühlen, denn sonst wären all die Gesprächs-, Gruppen-, Selbsterfahrungs-, und sonstigen Therapeuten arbeitslos.

Die Tragik und die Härte des Schicksals mit der das fragile Netz der menschlichen Existenz zerstört werden kann, kennt keine modernen Symptome. Sie kennt ausschließlich die Willkür des Scheiterns und des Verlustes. Alle modernen Therapien versagen angesichts dieses existentiellens Bruches.

Ein Mensch der in diesem "Ereignishorizont" gefangen ist, hat nur noch eins: seine eigene Existenz. Hier zeigt sich, ob er den Versuchungen der Mittelmäßigkeit, des Weges des geringsten Wiederstandes, etwas entgegenzusetzen hat. Seine eigenen Stärke und seine, hoffentlich noch nicht abhanden gekommene Kraft, Wiederstand zu leisten, ist jetzt die letzte Waffe die er im Kampf mit dem Sckicksal hat. Ausschließlich in diesen Momenten des existentiellen Bruches zeigt sich die menschliche Fähigkeit des Überlebens und des Gestalten. Einzig in dieser Späre können wir, allen Werbebranchen-Päpsten entgegen, kreativ werden.

Hier zeigt es sich, ob die Individialität des Menschen siegt, oder ob wir zu einem, bewußt in Kauf genommenen Opfer der Gesellschaft werden. Nicht die Gesellschaft hat die Kranken die sie verdient. Nein, der Mensch hat die Therapeuten, die er auf den Plan gerufen hat.

Vieles von dem was heute mit den fragwürdigen Prädikaten Fortschritt und persönliche Freiheit deklariert wird, ist im Grund nichts anderes, als die geschickte Manipulation durch Medien- und Werbekonzerne. Das Zusammenspiel zwischen Bedürfnisweckung und Bedürfsnisbefriedigung ist nahezu perfekt. Nutzlose Dinge werden als das Nonplusultra des Lebens ausgegeben, um Tage später schon wieder der Vergessenheit anheim zu fallen.

Diese perverse Spiel treibt die Mehrzahl derjenigen, die es sich leisten können, in den kollektiven "Hipp-sein-wollen Wahn". Der Freizeitindustrie gefällt es und die Aktionäre verdienen gut daran. Besser drei absolut nutzlose, aber moderne Sachen auf den Markt bringen, als eins, daß tadellos funktioniert und zudem auch noch Jahre später benutzt werden kann.

Unter dem Mäntelchen der Globalisierung wird versucht, diese sinnentleerte Gesellschaftsform auf der ganzen Welt zu etablieren. Die daraus enstehenden Konflikte und Kriege werden grausam sein, denn es gibt noch Nationen und Völker, welche die Kraft haben, sich gegen diese Manipulationen zur Wehr zu setzen. Ob die sogenannte westliche Gemeinschaft dann aber noch die Fähigkeit haben wird, angemessen darauf zu reagieren, das wage ich zu bezweifeln.