Buchkritik -- Volker Kronenberg -- Patriotismus 2.0

Umschlagfoto  -- Volker Kronenberg  --  Patriotismus 2.0 Patriotismus, einst Unwort par excellence im deutschen Sprachgebrauch, weil konnotiert mit der zwölf Jahre währenden Nazidiktatur, feiert augenscheinlich seine Renaissance auf der gesellschaftlichen Bühne der Bundesrepublik Deutschland. Unübersehbar im Jahr 2006 anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft und auch aktuell wieder im Rahmen der Erfolge der Deutschen Nationalmannschaft in Südafrika zieren Deutschlandfahnen Autos und schmücken Fenster und Balkons. Die Deutschen haben scheinbar ihr Land wiederentdeckt und feiern zusammen mit ihren internationalen Gästen fröhliche Fest. Ist das bereits Patriotismus oder nur eine ephemere Laune, die nach dem Ende der Party wieder still und verschämt in den Korb der Vergessenheit gelegt wird?

Volker Kronenberg hat sich in seinem Essay Patriotismus 2.0 mit dieser Frage beschäftigt und kommt zu erstaunlichen Ergebnissen. Nicht zufällig erinnert der Titel an den Euphemismus Web 2.0, welcher den Internetnutzern eine neue Art der Kommunikation, der Transparenz und der Interaktivität vorgaukelt.

Patriotismus ist, so der Autor, auf die politische Agenda zurückgekehrt. Dies haben wir in erster Linie der rot-grünen Regierungskoalition, die von 1998 bis 2005 an den Hebeln der Macht saß, zu verdanken. Um es genau zu sagen, für Kronenberg ist der Patriotismus 2.0 eine Kreation der Linken. Nach dem Zusammenbruch der DDR im Jahr 1989 und der Wiedervereinigung beider deutscher Länder im Jahr 1990, gelang es, nach anfänglichen Deutungsproblemen, ausschließlich Rot-Grün den Begriff Patriotismus neu zu definieren. Eine These Kronenbergs, die so bestechend einfach scheint und doch falscher nicht sein könnte.

Patriotismus, in der Brockhaus Enzyklopädie definiert als Vaterlandsliebe zu jemand, der aus demselben Geschlecht stammt und sich primär am Staatswesen und seiner politisch-kulturellen Tradition orientiert wurde mitnichten nach Regierungsbeginn der rot-grünen Koalition Ende der 90er Jahre erfunden, sondern, im Gegenteil, mit allen zur Verfügung stehenden Kräften bekämpft. Die Schar der Willigen war groß, denn die Schalt- und Verteilungsstellen der Macht in Verlagen, Medien, Gewerkschaften und Kirchenverbänden waren seit dem gelungenen "Marsch durch die Institutionen" von Personen besetzt, deren erklärtes Ziel es war, die Bundesrepublik dauerhaft zu verändern. Von Patriotismus war niemals die Rede. Dieser wurde ideologisch mit einem Tabu belegt und gleichzeitig der Wert des "Fremden" vor dem Primat des "Eigenen" idealisiert.

Wenn Kronenberg in seinem Essay, der an vielen Stellen wie eine Eloge auf Rot-Grün klingt, behauptet, dass Joschka Fischer, immerhin ein Mann der gefordert hat, dass Auschwitz auf immer und ewig als Gründungsmythos der Bundesrepublik zu gelten hat, in "seinem" Land angekommen ist, dann zeigt das eine Wahrnehmung, die nicht ganz der Realität entspricht. Immerhin war es auch der ehemalige Außenminister der Bundesrepublik der einer unkontrollierten Einwanderung zumindest nicht kritisch im Weg stand und damit dem Begriff des Patriotismus diametral entgegengesetzt stand. Wenn sich der Autor dann auch noch lobend über Jürgen Trittin äußert, der "...seit Bundesministerzeiten konsequent staatstragend im Dreiteiler gekleidet, sich heute selbst dabei erwischt, die Nationalhymne bei sportlichen Großereignissen mitzusummen, und es sichtbar genießt, der Rolle des Bürgerschrecks via "Neubürgerlichkeit" entwachsen zu sein,... dann ist das nur noch lächerlich.

Bei Volker Kronenberg mutiert der Begriff des Patriotismus gemäß linker Deutungshoheit zu einer Art erweiterter Nachbarschaftshilfe unter gesamteuropäischem Fokus. Da hilft es auch nicht mehr, wenn er den Begriff Leitkultur, der nicht zuletzt vom Trio Schröder/Fischer/Trittin genußvoll auseinandergenommen wurde, wieder aus der Mottenkiste, in der er leider gelandet ist, herausholt.

Patriotismus 2.0 ist eine Worthülse, welche die gesellschaftliche und politische Realität der Bundesrepublik ignoriert. Sei es der Bundeswehreinsatz in Afghanistan oder der Beitritt der Türkei zur Europäischen Union, welche beide von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt werden und von Kronenberg als notwendig bezeichnet werden, sei es die Eingliederung deutscher Interessen in einen europäischen Kontext, all das hat mit Patriotismus nichts zu tun.

Blicken wir zu unseren französischen Nachbarn. Dort versteckt sich der bei uns nicht zu Unrecht verpönte Begriff des Nationalismus hinter der Maske eines Patriotismus, der sich an dem Spruch "Frankreich zuerst" orientiert. Aktuell bei dem am 9./10. Mai 2010 in Brüssel beschlossenen Stabilitätspakt, der die knallharte Handschrift französischer Interessen trägt, zu sehen.

Patriotismus entwickelt sich im Gegensatz zum Nationalismus, der immer Propagandacharakter besitzt, von unten nach oben. Er entsteht und hier ist Kronenberg Recht zu geben, aus dem Willen der Bevölkerung. Er manifestiert sich als Bürgersinn und trägt zur Steigerung des Gemeinwohls bei. Das kann jedoch nur funktionieren, wenn die Politik, bzw. die vom Volk gewählten Vertreter den Willen und die Meinung deren respektieren, die laut Grundgesetz den politischen Willen bilden.

Das war weder unter Rot-Grün der Fall, noch kann davon aktuell unter Gelb-Schwarz die Rede sein. Politisch ist Patriotismus allenfalls erwünscht, wenn es um fahnenschwingenden Jubel bei Sportveranstaltungen geht, in deren Kielwasser die Regierung, nahezu unbemerkt vom Wahlvolk, unliebsame Gesetze durchpeitschen kann. Ansonsten ist Patriotismus in den Augen der jeweils Herrschenden bestenfalls lästig. Patriotismus 2.0 ist leider nicht in Sicht, denn wir haben noch nicht einmal die Vorgängerversion ausprobiert.




Meine Bewertung:Bewertung